SOMNAMBOULEVARD — NOCTURNE D'URINE Von Micky Remann

Ein Standardproblem, vor dem Millionen allnächtlich stehen: Du träumst, daß du aufs Klo mußt. Wie unterscheidest du, ob du echt physisch pinkeln mußt oder ob sich die Sache traumintern regeln läßt! Anders gefragt: Hast du schon mal geträumt, daß du pinkelst, ohne dabei ins Bett zu machen? Konntest du dieses erleichternde Rieseln spüren, obwohl die Blase gar nicht erleichtert wurde? Mußtest du vielleicht gar nicht, und du hast es nur zum Spaß geträumt? Wenn ja, bist du eine Meisterin des Klartraums, die eine schier unüberwindliche Grenze zwischen Dreamtime und Realtime transzendiert hat. [huch!, der meint, glaub' ich, mich, ich, eine transzendentale meisterin? juhuu!, soll ich's dir mal beibringen?, d. s-in] Denn gewöhnlich kann man sich tausend Körper erträumen, aber glaubhaft pinkeln kann immer nur einer: derjenige, der von allen der Physischste ist. Das wußte auch ein australischer Dichter, der, als er vom warmen Bett zum kalten Klo tappte, diesen Zweizeiler verfaßte:

Ich glaub, das Leben wär besser als Bettnässer.

Kleinkinder hingegen, vor die Wahl „aufstehen oder weiterträumen“ gestellt, optieren in der Regel für letzteres, weil sie natürlich wissen, daß Bettnässen kein Problem, sondern die Lösung eines Problems ist. Doch die wird ihnen ausgeredet und gilt im weiteren Leben als relativ untragbar. Ist solch folgenreicher Abschied von der Traumzeit erst verinnerlicht, wird die pralle Blase ein alle Bewußtseinstiefen durchdringendes Signal, das uns bedeutet: Der point of no return ist erreicht, es gibt keine Alternative zum real existierenden Aufwachen. Kein Wunder, daß dieses Thema auch von unserer Seite sehr wichtig ist. Neulich sprachen wir gerade träumlings über Jungsche Archetypen, als einer der beteiligten Träumer „nur mal kurz pinkeln“ wollte — aber nie wiederkam. Den Kollegen hatte der abrupte Bruch dermaßen aus der Fasson geworfen, daß er danach allen Anschluß verlor und seinen eigenen Traum nicht mehr wiederfand! Eventuell richtet die Durchlöcherung des Traumlebens durch Pinkelpausen sogar mehr psychischen Schaden an als zwei Ödipuskomplexe bei einem Schizophrenen.

Anders meine Bekannte Mechthild, die im Moment gerade merkt, daß sie muß. Statt aufzuschrecken wie beim Nato-Alarm und uns auf dem Somnamboulevard dabei im Stich zu lassen, träumt sie sich erst mal eine unendliche Riege von Toilettenhäuschen zusammen. In Viererreihen stehen sie auf weiter Flur bis zum Horizont. Beim Bedürfnis gepackt, öffnet sie die Tür des ersten und ist geschockt: total verschissen, völlig unbrauchbar. Nächste Tür: dasselbe Bild. Macht nichts, es gibt ja noch zigtausend Auswahlmöglichkeiten. Problem: Auch die sind dermaßen überschwappt und versaut, daß an eine ordentliche Abwicklung im Traum nicht zu denken ist. Als ihr der Kalauer des Dilemmas — im Traum — klar wird, sagt sie höflich: „Verzeiht, ich muß mal kurz in den Wachzustand austreten. Haltet den Traum bitte solange an, ich möchte nichts verpassen.“ Wir werden sehen, was sich machen läßt.