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Papierkrieg made in Austria

'täglich ALLES‘: Geburt einer Superzeitung in Österreich verzögert sich  ■ Von Falk Madeja

„Wir schreiben alles“, heißt es in der Plakatwerbung für die österreichische Illustrierte 'Die ganze Woche‘. Das neueste Produkt aus der Fabrik des dortigen Medienzaren Kurt Falk könnte diese Drohung noch übertreffen: 'täglich ALLES‘ soll eine Boulevard-Zeitung heißen, die in den nächsten Tagen auf den Markt kommen soll. Siebenmal in der Woche wird sie mit bis zu 50 Seiten Umfang auf Hochglanzpapier erscheinen. Österreich steht mit der Geburt dieses Medienkindes vor dem größten Zeitungskrieg der Nachkriegsgeschichte — Kurt Falk schickt sein opulentes Blatt mit dem Dumpingpreis von drei Schilling (40 Pfennige) ins Rennen. Und der 58jährige schwört: „Mindestens zwei Jahre halte ich das durch.“ Kurt Falk will damit eine Drohung wahrmachen, die seit langem über der Zeitungsszene schwebt. Vor fünf Jahren verkaufte er seine Anteile an der 'Kronen-Zeitung‘ an den 'Waz‘-Konzern für 2,2 Milliarden Schilling. Gleichzeitig verpflichtet er sich für das „Schmerzensgeld“, fünf Jahre keine Zeitung zu gründen. Falk hatte sich zuvor mit Hans Dichand (71) — mit dem er 1959 die 'Krone‘ wiedergründete und zum Aufstieg führte — verkracht. Falk warf daraufhin 'Die ganze Woche‘ auf den Markt. Jedes Exemplar der 'Woche‘ erreicht 2,2 Millionen Leser und liegt somit hinter der 'Krone‘ auf dem zweiten Platz. Außerdem investierte er in ein hochmodernes Druckzentrum.

Das heutige Szenario ähnelt der Einführung von 'Super‘. 'täglich ALLES‘ soll zunächst mit einigen hunderttausend Exmplaren in Wien und Ost-Österreich erscheinen. Erst später soll West-Österreich in den Genuß des Blattes kommen.

Die Reaktionen der Konkurrenz schwanken zwischen Hektik und Lähmung, auch wenn der Angriff in erster Linie der Mediaprint gilt. Die marktbeherrschende Konstruktion aus Dichands 'Krone‘ (Marktführer), dem 'Kurier‘ (zweitgrößte Zeitung) und 'Waz‘ besitzt außerdem einen Großteil der Magazine. Während die Wiener in diesen Tagen von 'Krone‘ und 'Kurier‘ mit Gratis- Abo-Angeboten oder Gewinnspielen eingedeckt werden, jammern Mediaprint-Anwälte und Verleger- Verband sogar beim Bundeskanzler Vranitzky (SPÖ) über den „sittenwidrigen“ Dumpingpreis.

Da ist was dran. Die 'Krone‘ kostet acht Schilling. Selbst den Preis zu senken, lehnt die Mediaprint ab. Denn während 'täglich ALLES‘ zunächst nicht überall erhältlich sein wird, ist die 'Krone‘ überall auf den Ladentischen. Eine landesweite Preissenkung um fünf Schilling, rechnete ein Branchenblatt vor, würde allein bei der 'Krone‘ einen jährlichen Verlust von 1,825 Milliarden Schilling bedeuten.

Die anderen Zeitungen des Schrumpfmarktes können sich nur ihrem Schicksal ergeben. Abgesehen von der 'Krone‘, geht es keiner der insgesamt 15 Zeitungen gut. Zu schaffen macht dem „Rest“ weniger eine Leserabwanderung, sondern der Einbruch im Werbemarkt. Kurt Falk lockt jetzt Werbekunden mit Gratisinseraten. Geld spielt bei ihm zunächst keine Rolle, noch ist sein Bankkonto gut gepolstert. Für ihn ebenso vorteilhaft: Er hat in sein „Druck- und Redaktionsschlachtschiff“ lediglich 50 feste und vielleicht 30 freie Journalisten geholt. Bei 'Krone‘ oder 'Kurier‘ produzieren gleich viermal so viele Redakteure Schlagzeilen über Sex and Crime. So spart Falk dabei im Jahr 450 Millionen Schilling Personalkosten. Und: Während die 'Krone‘ aus einer der teuersten Druckereien Europas kommt, produziert Falk in einer der billigsten.

Das Klima in der nagelneuen Redaktion ist unabhängigen Beobachtern zufolge „depressiv erwartungsvoll“. Schon bei der 'Ganzen Woche‘ seien Redakteure gelegentlich wegen zu großem Streß „mit dem Krankenwagen abgeholt“ worden. Vom Prinzip „Hire and fire!“ schrieb das Magazin 'profil‘. Chefredakteur Michael Grassl-Kosa, der mit seiner Crew schon seit Jahresbeginn den Redaktionsalltag trainiert, mußte zerknirscht Probleme zugeben: „Zum geplanten Termin am 16.März schafften wir es nicht.“ Die Redaktion sei mit der brandneuen Technik nicht klargekommen. Für den „High-noon der Tycoons“ in ihrem „Endkampf“ — so 'profil‘ — hat Falk gleich sechs schreibende Cowboys aus Deutschland angeheuert, darunter Jochen Kleemann (Springer) als Vizechefredakteur. Andere waren zuletzt bei 'Bild‘ oder 'Super‘ beschäftigt.

Was den Vertrieb des Blattes betrifft, gibt's Schwierigkeiten: Die Kioskbesitzer werden deutlich weniger verdienen können als an der 'Krone‘. Die Post sieht sich außerstande, die Zeitung wie gewünscht einige Tage lang in ganz Wien gratis in alle Briefkästen zu werfen. „Das wären für jeden Briefträger 50 Kilogramm extra“, stöhnte ein Postsprecher. Statt dessen sollen nun Gratis- Gutscheine in die Haushalte flattern und als „'täglich-ALLES‘-Giraffen“ verkleidete Animateure durch die Fußgängerzonen hüpfen. Ob man in Österreich über die Verzögerung unglücklich sein muß, ist fraglich. Eine Wochenzeitung made in Austria über das 'täglich ALLES‘-Projekt: „Die ganze Woche, die halbe Wahrheit, und das alles täglich.“

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