Längst überfällig

■ Die Bundesregierung sagt sexuellem Mißbrauch vor der Kamera den Kampf an

Längst überfällig Die Bundesregierung sagt sexuellem Mißbrauch vor der Kamera den Kampf an

Längst überfällig war er, der gestern vorgestellte Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen Kinderpornographie. Schon seit Herbst 1990 schmorte ein entsprechender Maßnahmenkatalog mehrerer weiblicher Abgeordneter aller Fraktionen in den Schubladen Bonns. Ein interfraktioneller Antrag gesellte sich vergangenen Sommer hinzu. Es wurde also wahrlich Zeit. Ob nun allerdings greift, was die Bundesregierung gestern als Gesetzentwurf vorlegte, bleibt fraglich. Denn was nützen härtere Strafen, wenn die Straftaten nicht mehr verfolgt werden können? Die Verjährungsfrist bei sexuellem Mißbrauch und Kinderpornographie liegt zur Zeit zwischen drei und zehn Jahren. Da Kinder oft schon im Alter von vier oder fünf Jahren Opfer sexueller Gewalt werden, sind die derzeitigen Fristen längst abgelaufen, wenn eine Betroffene sich als junge Frau entschließt, Strafanzeige zu stellen.

Was nützen die entschiedenen Vorstöße des Justizministers Kinkel, wenn seine beteiligten Amtskollegen sich in der Sache nicht rühren. Wenn also Postminister Schwarz-Schilling sich immer noch keine Gedanken zu konkreten Maßnahmen gegen den Vertrieb von Kinderpornographie über das posteigene BTX-System gemacht hat. Wenn die Länder dazu schweigen, obwohl entsprechende Schritte beispielsweise von den Grünen in Bayern schon seit langem gefordert werden.

Schön und gut: Die Bundesregierung sagt seit gestern, nach eigenen Worten, der Kinderpornographie den Kampf an. Doch dieser Kampf, den Bundesjustizminister Kinkel dort heraufbeschwört, darf sich nicht nur auf der rein legislativen Ebene abspielen. Herrn Kinkel ist dies wohl bewußt. Doch ob sein Ruf nach sozialen Hilfsprogrammen jenseits aller strafrechtlichen Maßnahmen Früchte trägt, sei dahingestellt. Stellenstreichungen und Mittelkürzungen im sozialen Bereich sprechen da eher von einer gegenläufigen Entwicklung. Durch die Kürzung der Gelder für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verlieren entsprechende Einrichtungen zur Betreuung sexuell mißbrauchter Kinder einen erheblichen Teil ihrer Arbeitskräfte. Das führt bei Projekten wie etwa „Wildwasser“ in Berlin, das schon seit 1982 auf sehr pragmatische Weise den Kampf gegen sexuelle Gewalt führt, dazu, daß zur Zeit keine Beratungen und Fortbildungen für Professionelle — also LehrerInnen, ÄrztInnen oder SozialarbeiterInnen — durchgeführt werden können. Hilfesuchende müssen in Beratungsstellen oftmals mit Wartezeiten bis zu drei Monaten rechnen. Eine haarsträubende Situation auf Kosten der betroffenen Kinder, die nur mit entsprechenden finanziellen Mitteln zu beheben ist. Doch von weitgehenden finanziellen Ausstattungen für Prävention, Schutz oder umfangreiche psychologische Betreuung war bei der gestrigen Kabinettssitzung natürlich nicht die Rede. Es ging ja um eine Strafrechtsreform. Bleibt also nur zu hoffen, daß der Appell des Justizministers nicht auf taube Ohren stößt, sondern nun auch in anderen Ministerien zu erhöhter Betriebsamkeit anregt. Karin Flothmann