Lehrer demonstrieren im Regen

12.000 Berliner Lehrer streikten gestern gegen die geplante Arbeitszeitverlängerung/ Bei strömendem Regen zogen Lehrer, Eltern und Schüler durch die Innenstadt zum Rathaus Schöneberg  ■ Aus Berlin Jeannette Goddar

Mit Regenschirmen, Keksdosen und Thermoskannen ausgerüstet, verbrachten gestern 12.000 Berliner Lehrer und Lehrerinnen sowie zahlreiche Eltern und Schüler die Unterrichtszeit nicht in der Schule, sondern auf der Straße. Mit Slogans wie „Spart Soldaten, nicht Lehrer!“ oder „Keine Arbeitszeitverlängerung!“ bis hin zu einem einfachen „Nein!“ protestierten sie vor den Schulgebäuden und mit einer Demonstration durch die Innenstadt gegen die geplanten Sparmaßnahmen des Schulsenators Jürgen Klemann (CDU). Wegen des Lehrerstreiks fiel an 380 von 480 Westberliner Schulen der Unterricht aus. In Ost-Berlin wurden neun Schulen bestreikt.

Die Auseinandersetzungen um die Sparmaßnahmen im Bildungsbereich beschäftigen die Berliner seit Monaten. Nach langem Gerangel hat sich die große Koalition darauf verständigt, die Stundentafel in den Grundschulen sowie in den gymnasialen Oberstufen um ein bis zwei Wochenstunden zu kürzen sowie die Pflichtstunden der Lehrer um eine Stunde zu erhöhen. Ausgenommen sind Klassenlehrer und Schulleiter. So sollen 1.500 Stellen eingespart werden. Bevor die Senatssparpläne heute im Berliner Abgeordnetenhaus abgestimmt werden, hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) daraufhin zu einem berlinweiten Lehrerstreik aufgerufen.

Die Belegschaft der 8. Grundschule in Mitte postierte sich im strömenden Regen vor einer Markthalle. Die Lehrer im Ostteil fordern, in einem Tarifvertrag die Arbeitszeit sowie den Verzicht auf Kündigungen festzuschreiben. In der Schöneberger Scharmützelsee-Grundschule fiel der Unterricht komplett aus. Die Lehrer, die sich nicht am Streik beteiligten, betreuten die wenigen erschienenen Kinder. An einer Kreuzberger Schule war auch das nicht notwendig: Ein einzelner Schüler tauchte im Schulgebäude auf. „Wir unterstützen die Forderungen der Lehrer“, erzählte Mutter Vera Gutbrot. „Wer an der Bildung spart, zahlt später drauf.“ Ausländerhaß, Gewalt und Aggression seien die Folge überarbeiteter Lehrer und einer falschen Bildungspolitik.

Während in der Innenstadt Flugblätter, GEW-Luftballons sowie Transparente das Straßenbild bestimmten, sah es in den gutbürgerlichen Außenbezirken eher mau aus. Als wäre nichts geschehen, war fast die gesamte Belegschaft der Zehlendorfer Nord-Grundschule sowie alle Schüler zum Unterricht erschienen. „Die Zehlendorfer sind halt eher konservativ“, zuckte eine Lehrerin mit den Achseln. „Mir wäre es auch zu naß draußen.“ Den größten Spaß hatten wohl die Schüler. Während viele Schülervertretungen sich politisch hinter den Streik stellten und die Landesschülervertretung mitdemonstrierte, genossen andere das unverhoffte Schulfrei. „Geil, so ein freier Tag mitten in der Woche“, strahlte einer, und „wir hätten bestimmt wieder so ein blödes Diktat geschrieben.“

Schulsenator Klemann bekräftigte erneut die Rechtswidrigkeit des Streiks und kündigte Disziplinarmaßnahmen sowie Gehaltskürzungen an. Weil er „den Konflikt um die Erhöhung der Pflichtstundenzahl habe eskalieren lassen“ (zu Beginn der Woche hatte Klemann der GEW in jedem Bezirk ein Zwangsgeld von 100.000 Mark angedroht, die Drohung dann auf SPD-Wunsch zurückgenommen), haben Bündnis 90/Grüne gestern einen Mißtrauensantrag gestellt.Siehe auch Seite 21