Das Papier und sein Schöpfer

■ Peter Liebricht, Buchhändler, macht aus Pappelsamen, Schachtelhalm und Hopfen einzigartige Blätter

„Ich will das Papier, nur das Papier, nichts weiter. Nicht drauf schreiben, nicht drauf malen, das alles wäre eine Art Entweihung — dazu ist es viel zu schön!“ — Peter Liebricht, klein und weißhaarig, ein Mann mit flinken Bewegungen, ist Schreibwaren- und Buchhändler, eigentlich. In Bremen- Lesum hat er einen kleinen Laden. Hinter diesem Laden aber, im Innenhof, steht eine merkwürdige Holztonne, gefüllt mit Wasser. Ohne sie könnte Liebricht der Tätikeit nicht nachgehen,an der sein Herz hängt: der „Schöpfung“ von Papier. In der „Schöpfbütte“ nämlich weicht er Pflanzen aller Art ein, bis sie eine faulig stinkende Lauge bilden.

Dann erst kann er die Fasern herauslösen, „eine Strafarbeit, vor allem beim Bast“. In der anschließenden Miniwerkstatt stehen seine Siebrahmen in allen Größen. Liebricht hat sie eigenhändig gezimmert, denn sie bestimmen das Format der Papierbögen. In ihnen wird die Fasermasse unter Wasser gleichmäßig verteilt und dann in der selbstgebauten Presse gepreßt. An den Wänden hängen Beutel mit Schilf und Brennessel, mit mühselig zu sammelnden Pappelsamen und Moos, mit Schachtelhalm und Hopfen.

So viele heimische Pflanzen, die Liebricht auf seinen Fahrradtouren durchs Land entdeckt, eignen sich zur Papierherstellung, jedenfalls von der Art Papier, das Peter Liebricht so liebt. Die einzelnen Bogen sind schön wie

Hier sehen Sie Herrn Liebricht, wie er Bütten schöpft

Windspuren im Sand, wie die Zeichnungen auf einer Muschel, wie die Adernstruktur eines Blattes.

Und sie sind zu nichts anderem zu gebrauchen, als daß man ein „interesseloses Wohlgefallen“ an ihnen finden möge. Selbst wenn Liebricht sich nicht so dagegen verwehren würde: Wer wäre so ignorant, auf einem Papier zu schreiben, das längst schon eine eigene Sprache spricht? Zum Beispiel der weiche Bogen aus Pappelsamen, in dessen sanftem Weiß kleine Pappelsternchen eingeschöpft sind; oder die drei Varianten von Brennesselpapier: braun und grobfaserig die Herbst- Brennessel, löschpapierleicht die junge Frühlingspflanze, und trocken wie Pergament die gebleichte

(bitte mit

Rahmen drumrum!)

hierhin bitte

die Zeichnung

über Papier-

herstellung

Brennessel.

Immer wieder fragen KünstlerInnen bei Liebricht an; handgeschöpftes Papier ist seit vielen Jahren ein großer Malgrundrenner. Doch der Bogen aus Waldgras, in dem man noch die einzelnen Halme zu erkennen meint, oder das „störrische“ Moospapier sind für sich schon ein Kunstwerk, auch wenn Liebricht von dieser Bezeichnung nichts wissen will. „Papiermacher, ja, das bin ich - aber kein Künstler! Ich will dem Papier nichts ihm Fremdes aufzwingen.“

Seit zwei Jahren leitet Peter Liebricht Kurse an der Volkshochschule. Wirklich einweihen in seine Geheimnisse tut er die Schüler aber nicht. Er zeigt ihnen, wie man sein eigenes Papier aus Altpapier macht und vielleicht noch den Umgang mit Brennesseln, denn die brauchen keine Chemie für den notwenigen Fäulnisprozeß. Bei anderen Pflanzenarten aber bleibt eine giftige Lauge zurück, die verantwortungsvoll entsorgt werden muß. „Bei Leuten, die möglicherweise nur von Makramee und Seidenmalerei spaßeshalber zum Papier wechseln, ist mir das zu gefährlich...!“

Über eine biologisch einwandfreie Methode der Papierherstellung verfügen übrigens die Wespen: Im Sommer kann man sie an Holz oder Dachpappen nagen hören, Material, das sie einspeicheln und in das „Papier der Papiere“ verwandeln. Fragmente ihrer Nester in grau-gedämpften Farben finden einen würdigen Platz in Liebrichts Sammlung. Auch Papyrosbögen sind darunter: das älteste Schreibmaterial der Welt, das allerdings nicht geschöpft, sondern aus einzeln zurechtgeschnittenen Fasern in mühseliger Ordnungsarbeit zu Quer- und Längsschichten übereinandergepreßt wird.

In Deutschland hatte die Entdeckung der Herstellung von Papier aus Holz vor zwei Jahren ihr 600-jähriges Jubiläum. Damit konnte endlich das kostbare Pergament aus Tierhäuten abgelöst werden. Kein Wunder, daß schon 50 Jahre später die Druckkunst erfunden wurde.

Heute saust das holzfreie Massenprodukt in meterbreiten und

Zum Beschriften zu schön

kilometerlangen Bahnen durch die Fabrikhallen, bereit auf seiner geleimten Oberfläche allen Sinn und Unsinn dieser Welt aufzunehmen. Für diese Aufgabe taugen die einzelnen Bögen von Peter Liebricht nicht. Aber daß ausgererechnet ein so folgenreiches Kulturprodukt wie das Papier ganz einfach der „Spiegel einer Pflanze“ sein darf, das berührt vielleicht gerade diejenige so, die ohne „ordentliches“ Schreibpapier aufgeschmissen wäre. Cornelia Kurth