Kenn Se den? Kenn Se den?

■ Stimmenimitatoren in der Stadt: Thomas Freitag in den »Wühlmäusen«, Reiner Kröhnert im Mehringhof

Wohl dem, der in dieser Republik einen anständigen Sprachfehler hat. So wie das Knurren von Willi Brandt, das pfäffische Gesäusel eines Norbert Blüm oder die Preßatmung des Ernst- Dieter Lueg. Denn im vielbeschworenen Medienzeitalter ist eine Stimmmodulation à la Boris Becker schon das erste Break zum Erfolg.

Mit Sicherheit werden die Parodisten und Stimmimitatoren der Republik durchs Land tragen, was immer man sagt — und was immer man nicht gesagt hat ebenfalls. Thomas Freitag ist einer dieser stimmlichen Zweitverwerter, denen die Gnade der späten Imitation zu eigenem Ruhm verholfen hat. Als Willy Brandt knurrte und knarrte er in den Siebzigern und Achtzigern auf allen großen Kabarett-Bühnen, ersann sich Gespräche zwischen Brandt und Wehner, Brandt und Strauß und Brandt und Brandt. Elegant und erfolgreich fuhr er jahrelang auf dem Trittbrett sozialdemokratischer Erfolge (?? d.Red.) mit — immer stimmlippennah am Original, bis dann irgendwann klammheimlich eine neue Politgeneration nachwuchs. Und die knurrte nicht mehr so ungeniert, knarrte nicht wie Thomas Freitag, sondern entwickelte ihre eigenen nachgeborenen Marotten.

Inzwischen ist Strauß tot, Wehner im Himmel, und Willy Brandt trinkt leider nicht mehr, wegen Brigitte. Was macht einer wie Thomas Freitag dann, wenn sich seine Vorlagen eine nach der anderen ins Jenseits verabschieden, wenn sich die Zeiten ändern, nicht aber die eigene Begabung? Er macht einfach weiter. Als hätten die letzten zwanzig Jahre gar nicht stattgefunden, stellt er sich auf die Bühne der »Wühlmäuse«, läßt Brandt mit Wehner, Brandt mit Strauß und Brandt mit Brandt plaudern, präsentiert Genscher, Filbinger, Strauß und Brandt als Transvestiten in einer drittklassigen Bar, verlegt die Herren in ein Senioren-Dreibettzimmer und kalauert und blödelt sich so durch ein vielleicht kabaretthistorisch wertvolles, ansonsten aber ziemlich einfallsloses und vor allem politisch völlig zahnloses Programm.

Ganz anders dagegen Reiner Kröhnert im Mehringhof. Seine Welt ist ebenfalls die deutsche Plenarpolitik. Aber die von heute. Einer nach dem anderen kommen die Politgrößen des Jahres 1992 in seine »psychoexperimentale Sozialstation«, um sich ihre ganz persönlichen Macken — nicht aber ihre Sprachfehler — therapieren zu lassen. Streng nach der sich immer wieder stellenden Frage »Ja, sind die denn alle wahnsinnig geworden?« führt Kröhnert ein Therapiegespräch nach dem andern: Norbert Blüm hält sich nach seiner »marktwirtschaftlichen Buddahbergpredigt in Warschau« endgültig für einen »Gesalbten des Herren«; Genscher ist die Neuordnung der Weltmarktlage abhanden gekommen. Auch Hans-Jochen Vogel vermißt die ein oder andere Klarsichthülle — wie Daniel Cohn-Bendit seine Identität. »Gestern Utopist, heute Realist und morgen eine Weißblechdose« resümiert er sein Dasein — Lebensläufe wie dieser führen zwangsläufig in Dr. Kröhnerts Sozialstation, in der Boris Becker — noch so ein berühmter Sprachfehler — nach einem »Medizinstudim in fünf Sätzen« nun zum »Azzt« aufgestiegen ist.

Während sich die drei senilen Herren im Altersheim der Wühlmäuse gegenseitig Reißzwecken unters Bett legen, müssen sich Rita Süssmuth, Graf Lambsdorff und Gerhard Stoltenberg in einer Gruppentherapie von Becker sagen lassen, daß der Anstaltsleiter ihre Verlegung in die geschlossene Abteilung beschlossen hat. Auf diese »Bottschaft« reagiert jeder auf seine Weise, Genscher klaut dem Engholm seine Lieblingspfeife und Cohn-Bendit, dem diese »psychologische Schei-i-i-se« ziemlich auf die Nerven geht, vermißt bald darauf sein Marihuana. Voll bedröhnt fliegt fortan der Außenminister durch die gute Stube, während der hinkende Graf bereits insgeheim die nächste Wende plant.

Natürlich stellt sich am Ende heraus, daß draußen im Lande nicht mal der Kanzler ernstlich vermißt wird. Nur Erich Honecker, der listigerweise seine körperliche Schwäche nur vorgetäuscht hat, eilt im Trainingsanzug aus Moskau herbei, um nun endlich sein politisches Comback zu starten.

Wirklich neu sind auch Kröhnerts Scherze nicht, aber im Gegensatz zu Thomas Freitag sind sie wenigstens noch nicht alt. Stimmimitationen bleiben eben immer an ihre Vorlagen gebunden und beziehen ihre Komik letztlich nur aus der Idee, blöde Phrasen in blöde Politikerhirne zu kopieren. Da ist man gut bedient, wenn das Setting eine gewisse intellektuelle Klasse hat, wenigstens einen roten Faden, der einem am langen Bändel der Komik durch das Stimmgewirr hindurchhilft. So vergehen im Mehringhof Kröhnerts zwei Stunden Parodieprogramm wirklich im Fluge, während Thomas Freitag fortan künftig besser beim SPD-Seniorenclub NRW gastieren sollte. Dort erinnert man sich gewissermaßen verbandsgebunden lieber an alte Glanztage als an den plenartäglichen Wahnsinn— und hofft inständig auf die Reinkarnation des geliebten Herbert Wehners.

In Dr. Kröhnerts Sozialstation beschließen die Insassen nach ihrer geglückten Selbstbefreiung, sich einfach dem Volk wieder in die Gedächtnishalle zu brabbeln — »und schon sind wir wieder an der Macht« —, und so schließt sich der Kreis in den Köpfen der Irren, der Zuschauer und der Parodieprofis. Denn solange die Originale weiterbrabbeln, haben Kröhnert und Konsorten Konjunktur. Und das Volk seinen Spaß. Klaudia Brunst

Thomas Freitag: Die Riesenpackung , Di., Do., So. 20.30 Uhr, Fr./Sa. 19.30 Uhr, Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33.

Reiner Kröhnert bis 12. April Mi. bis So. 21 Uhr im Mehringhof-Theater, Gneisenaustraße2