„Wir alle haben verloren“

Nach der 0:1-Prestige-Niederlage gegen den „wahren Weltmeister“ Italien gehen Bundestrainer Vogts und seine Mannen dem qualvoll-selbstkritischen Geschäft der Ursachenforschung nach  ■ Aus Turin Peter Unfried

Vorhang auf. Es tritt frischgeduscht auf: der Kapitän. Mit der Erfahrung von 93 Länderspielen in der Sporttasche kann es doch eigentlich kein Problem sein, selbst für dieses, sagen wir, irritierende Spiel eine durchdacht-fundierte Erklärung zu finden, Lothar Matthäus? Natürlich ist es keines. Lothar (fließend): „Man muß sagen, daß der Sieg der Italiener aufgrund ihrer Spielanteile verdient war.“ Italien 1, Deutschland 0 also, weil erstere mehr vom Spiel hatten, Berti Vogts? Der Bundestrainer (leise): „Wir haben viel zu passiv gespielt, die aggressive Spielweise fehlte.“

Aber Sie, Guido Buchwald, gingen doch recht aggressiv in ihren Zweikampf mit dem Turiner Lentini, den Schiedsrichter Larsson dann für strafstoßwürdig befand. Buchwald (abwiegelnd): „Der Schiedsrichter hätte eventuell ,Sperren ohne Ball‘ geben können!“ Aber der Elfmeter war schon von entscheidender Bedeutung, Berti Vogts? Berti (verärgert): „Ich möchte nicht über den Elfmeter diskutieren.“ Über was dann? Berti (trotzig): „Viel schlimmer war der Fehler, der dazu führte!“ Das heißt, jetzt geht es Fehlpäßler Stefan Reuter an den Kragen? Vogts (versöhnlich): „Ich will jetzt nicht die Schuld bei irgendjemand suchen.“ Aber irgendjemand hat doch schuld zu sein? Vogts (bestimmt): „Die Mannschaft hat verloren. Wir alle haben verloren!“

Wir alle? Mag sein, Berti, doch wie fast immer der eine mehr und der andere weniger. Im Gegensatz zu den immer noch der verlorenen Weltmeisterschaft nachtrauernden Tifosi, die sich nun als die wahren Weltchampions bestätigt sehen mögen, war das prestigeträchtige Spiel von Vogts eigentlich „nur“ dazu gedacht, nach möglichen Alternativen für eine im Prinzip stehende Mannschaft Ausschau zu halten. Jetzt wird man die Vermutung nicht mehr los, daß möglicherweise die Alternativen keine sein könnten, und manche für die man welche suchte, selbst kaum welche sind. Immerhin ist die italienische squadra im Umbruch, und die Spieler hatten alle Köpfe voll zu tun, die ihnen vom „Fußball-Revolutionär“ Arrigo Sacchi aufgetragenen Intelligenztests zu bestehen, so daß ihnen fürs eigentliche Fußballspielen kaum Energie übrigblieb.

Gegen eine solchermaßen zwar defensiv wohltemperiert, doch nach vorne eher harmlos wirkende Mannschaft so schlecht auszusehen, könnte zu dem Schluß führen, daß es dem Weltmeister nicht nur an einem Konzept mangelte, sondern auch ein paar Kicker fehlten, die in der Lage gewesen wären, es auszuführen.

Doch gemach. Wir können selbstredend doch Europameister werden! Erstens sind die Italiener bekanntlich nicht für Schweden qualifiziert (zu schlecht!), und zweitens muß mit dem Elfmeter und dem daraus resultierenden 0:1 zwar nicht die Geschichte des trostlosen Spiels umgedeutet werden, wohl aber dessen Bewertung. Der Bundestrainer etwa wertete so: „Die Italiener haben ein echtes Länderspiel bestritten, wir nur ein Freundschaftsspiel.“ Hätte er das auch verkündet, wenn es beim eigentlich zwangsläufigen 0:0 geblieben wäre? Nein, denn er ist ein höflicher Mann und hätte auf Arrigo Sacchi Rücksicht genommen, der sich dann (zu recht) eine magere Darbietung, zumal an seinen Ansprüchen gemessen, hätte vorhalten lassen müssen.

Aber es ging eben nicht 0:0 aus. Und warum? Weil Buchwald einmal etwas staksig im Weg herumstand. Lag es also doch an Guido? Buchwald verneint solches, denn: „Ich glaub', daß ich Baggio ausgeschaltet habe und damit meine Aufgabe erfüllt.“ Ihre Aufgabe erfüllten aber auch viele seiner Kollegen, und wenn nicht, dann lag garantiert der Fall wie bei Matthäus, der dazu nicht recht kam, „weil ich so viele Löcher zu stopfen hatte.“ Die aber wieder irgendwo gerissen worden sein müssen! Im Sturm? An Jürgen Klinsmann zumindest habe es auch nicht gelegen, vermutet derselbe. Vielmehr habe er auf sich aufmerksam gemacht, was Berti auch so gesehen habe, und manch anderer auch, denn immerhin war es der ehemalige Strahleknabe der Nation, der mit dem einzigen Bravourstück des trüben Turiner Abends Riedle fast aus dem Schlaf gerissen und jenem ein Tor ermöglicht hätte.

Einstimmig entlastet wurden schließlich des weiteren Illgner, Binz, Brehme und Schulz, während vor allem Spieler aus Rom und Turin gemeint sein könnten, als es hieß, daß „der eine oder andere nicht so zufriedenstellend war“ (Vogts). Vorsicht Falle, Jungs, denn am am Ende wurde der liebe Berti doch noch gemein: „Wir können nur zwanzig Spieler nach Schweden mitnehmen!“ Wen also nicht, Lothar Matthäus? Lothar (souverän): „Ich will nicht über andere Spieler reden.“ Aber die Spielanalyse, die alles klärende, haben Sie zum schönen Schluß doch parat, damit die quälende Suche nach den Gründen abgeschlossen werden kann? Lothar (ernst): „Die Spielanalyse wird Berti Vogts bei unserem nächsten Treffen vornehmen, aber ich glaube, die wird nicht so gut ausfallen wie beim letzten mal!“ Na endlich! Danke, Lothar. Alles klar. Vorhang. Demnächst in diesem Theater!

Deutschland: Illgner - Binz - Helmer, Buchwald - Reuter, Häßler, Matthäus, Doll (69. Bein), Brehme (46. Schulz) - Völler (46. Klinsmann), Riedle

Zuschauer: 40.000; Tor: 1:0 Baggio (86./Foulelfmeter)

Italien: Zenga - Baresi - Mannini, Costacurta - Eranio (81. Bianchi), Donadoni, Carboni, de Napoli (62. Lentini), Evani - Casiraghi, Baggio (90. Berti)