Amsterdams Innenstadt bald autofrei

Weltpremiere in der holländischen Metropole/ Die Bürger haben die Autos so satt, daß sie jetzt ausgesperrt werden/ Stadtluft in den vergangenen Jahren deutlich schlechter als gesetzlich erlaubt  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Die Bürger von Amsterdam haben ihrer Stadt zu einer Weltpremiere verholfen und dürfen dafür jetzt tiefer durchatmen. In ihrer ersten Volksabstimmung setzten sich 52,6 Prozent der Einwohner für eine autofreie Innenstadt ein. Wenn es nach den Bürgern geht, wird der Kern der Stadt innerhalb des alten Grachtengürtels für den Autoverkehr künftig gesperrt sein. Nur Radler und Fußgänger dürften dann die geplanten Schranken passieren. Ausnahmen sind für Behinderten- Autos, Krankenwagen, die Feuerwehr und Lieferverkehr vorgesehen.

Der Entscheidung vom Mittwoch war eine mehr als einjährige intensive politische Auseinandersetzung vorausgegangen. Die Gegner der Abstimmung, vor allem die Kaufleute, die Amsterdamer Industrie- und Handelskammer und motorisierte Pendler, hatten alle Register gezogen, um das Votum zu verhindern und am Schluß dennoch verloren. Viele Prominente hatten sich dagegen gemeinsam in Werbespots für die autofreie Innenstadt eingesetzt. Dafür gestritten hatten auch die Kneipiers der Innenstadt, Fahrradlobbyisten und die Aktion „Stoppt den Kindermord auf der Straße“. Der einzige Wermutstropfen der Sieger: An der Abstimmung hatten nur 26,6 Prozent der 600.000 stimmberechtigten Amsterdamer teilgenommen. Aber auch bei der letzten Kommunalwahl in Amsterdam lag die Wahlbeteiligung bei niedrigen 51 Prozent. Das Ergebnis der Abstimmung ist nach niederländischem Recht nicht bindend für den Stadtrat. Aber die Stadtregierung hatte schon vor der Abstimmung deutlich gemacht, daß sie sich an das Ergebnis zu halten gedenkt. Und Bürgermeister Ed van Thijnn erklärte gleich nach dem Votum, daß das Ergebnis „richtungweisend sein muß für die Kommunalpolitik der kommenden Jahre“. Die Stadtregierung aus Sozialdemokraten, Grün-Alternativen und Liberalen hatte schon 1990 verkündet, daß sie den Autoverkehr in der Stadt zurückdrängen wolle.

Ende März 1991 war nach Fraktionskämpfen im Rathaus der Startschuß gefallen: Hollands größte Zeitung, die 'Volkskrant‘, konnte damals berichten, daß der Amsterdamer Stadtrat ein solches Referendum erstmals für möglich hielt. Der Kleinkrieg um die Sperrung der historischen Altstadt aus dem 17. Jahrhundert setzte dann erst richtig ein. Nachdem eine Klage gegen die Abstimmung selbst keinen Erfolg hatte, überschwemmten die Kaufleute die Stadt noch in der vergangenen Woche mit 270.000 Flugblättern für alle Haushalte. Darin warnten sie vor dem Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen. Gewerkschafter, die als Mitunterzeichner des Flugblatts genannt waren, distanzierten sich öffentlich von dem „demagogischen Spiel mit Arbeitsplatzargumenten“. Amsterdamer Schüler inszenierten eine Probeabstimmung, in der sich über 70 Prozent der Pennäler für eine autofreie Innenstadt aussprachen.

Praktische Folge des Referendums ist zunächst einmal der Abbau von 23.000 Parkplätzen in der Altstadt, der jetzt schrittweise erfolgen soll. Parallel dazu will Amsterdam den öffentliche Nahverkehr ausbauen. Wassertaxis und Lastenkähne sollen zusätzlich gefördert werden. Dann wird auch die Luft hoffentlich wieder besser. Eine Studie des städtischen Umweltamtes ermittelte kürzlich, daß eine Verringerung des Autoverkehrs um 40 Prozent nötig sei, damit die nationalen Werte für die Luftverschmutzung eingehalten werden können.