PORTRÄT: Stasi-Freund und Boxer
■ Der Fall Peter-Michael Diestel
Kein anderer DDR-Politiker der Nach-Wendezeit hat eine vergleichbare Serie von Rücktrittsforderungen derart gelassen-trotzig weggesteckt wie Peter-Michael Diestel, letzter DDR-Innenminister und Noch-Fraktionschef der CDU im brandenburgischen Landtag. Ob diesmal die Koalition seiner Widersacher bei dem Versuch, Diestel endlich ins politische Aus zu schicken, erfolgreicher sein wird als ihre Vorgänger, ist schon deshalb eher fraglich.
Eigentlich hätte Diestel, vor der Wende Melker, Doktor der Rechte, Bodybuilder und Hobbyboxer, niemals Innenminister der letzten DDR- Regierung werden dürfen. So jedenfalls verkündeten es die Sozialdemokraten, bevor er ihnen dann in der gemeinsamen großen Koalition zum ständigen, aber unangreifbaren Ärgernis wurde. Selbst seinen eigenen Parteifreunden aus der CSU-gesponserten DSU ging er mit seinem Verständnis gegenüber den Organen des SED-Machtapparates — und seinem Votum für die Oder-Neiße-Grenze— so sehr auf die Nerven, daß ausgerechnet sie den Reigen der Rücktrittsforderungen eröffneten. Diestel trat zurück — doch nur als Generalsekretär des CSU-Ablegers, dessen unaufhaltsamer Niedergang ihm spätestens nach dem Drei-Prozent- Ergebnis bei den Kommunalwahlen im Juni 90 klar vor Augen stand. Sein Amt als Innenminister behielt er — fortan als Mitglied der CDU.
Die in der Politik obligate Moralmaske hat sich Diestel nie aufgesetzt. Er agiert als Instinktpolitiker. Doch anders als etwa seinem Bonner Parteifreund, Verkehrsminister Günther Krause, ging er von Anfang an nicht in der Rolle des Karrieristen auf. Unberechenbar, immer mit einem Schuß jungenhafter Naivität, provozierte er nicht zuletzt seine neuen Parteifreunde von der CDU.
Das macht seine Politik nicht sympathischer. Als Innenminister angetreten, „die Apparate zu zerschlagen“, blieb von seiner 173tägigen Amtszeit nur in Erinnerung, daß er sich mit den Handlangern des SED- Regimes bestens arrangierte. Die Auflösung der Stasi und die Überprüfung der Volkskammerabgeordneten hintertrieb er, so gut es ging. 3.500 Stasi-Leute beherbergte das Innenministerium während seiner Amtszeit. Den Ex-Polizeichef von Karl-Marx-Stadt berief er als Staatssekretär in sein Ministerium, ein Vizeinnenminister unter Honecker wurde Abteilungsleiter, Volkspolizei-Generäle hielt er sich als Berater und Spezialisten der Stasi-Terrorabwehr als Bodyguards. Nicht nur letzteren bescheinigte er beste Ausbildung. Auch seine Kooperation mit Stasi- und Volkspolizei-Funktionären begründete Diestel stets unverschämt offensiv: Nur mit der Kompetenz der Organe sei deren Macht endgültig zu brechen. Daß er sie wirklich brechen wollte, dafür gibt es keine sachdienlichen Hinweise.
Das brachte ihm am 13. September 90 dann den Mißtrauensantrag in der Volkskammer ein. Auch diesen bis dahin „größten Kampf“ bestand Diestel — mit der Unterstützung seines Ministerpräsidenten und der PDS-Fraktion. De Maizière, so das hartnäckige Gerücht, soll er mit dessen Stasi-Verstrickungen erpreßt haben, die Unterstützung durch die SED-Nachfolger verdiente er sich mit seiner Politik. Denn kein konservativer Politiker in führender Position hat so offen für Milde und Schlußstrich plädiert, immer die Vision des drohenden Bürgerkriegs vor Augen. Die Stasi-Akten wollte er für immer unter Verschluß sehen oder am liebsten gleich vernichten. Selbst die bundesdeutschen Dienste sollten— so Diestel — niemals die Chance erhalten, mit Hilfe der Stasi- Unterlagen die DDR-Bürger in solche erster und zweiter Klasse zu dividieren. Doch auch mit diesem Vorsatz nahm es Diestel nicht so genau und versorgte, gegen geltendes DDR-Recht, BND, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt mit brisantem Material. Nicht zuletzt seinen Insider-Kenntnissen über die in der DDR untergetauchten RAFler verdankte Diestel — der Zocker — sein politisches Überleben. Immer wenn es eng wurde, konnte er der staunenden Öffentlichkeit wieder einen enttarnten Ex-Terroristen präsentieren.
Seit Diestel die CDU-Fraktion in Potsdam führt, kommt er immer mal wieder mit Unkonventionellem zur Staatssicherheit in die Schlagzeilen. Seine Affinität zum „bestorganisierten Geheimdienst der Welt“ hat er nun zur Einschätzung verdichtet, die Stasi müsse als „Garant des inneren Friedens“ in der ehemaligen DDR anerkannt werden. Für Volker Rühe, Erwin Huber und Ulf Fink ist damit das Maß voll. Der Anlaß ist passend. Denn mit Diestel verschwände einer aus der ersten Reihe, mit der die CDU in Brandenburg ohnehin nichts mehr gewinnen kann. Matthias Geis
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