Kläranlagen der Lust

■ „Nameless B2317“ im Concordia / MOKS-Premiere mit Berufsjugendlichen

Die Szene ist düster, morbid. Eine Panzerglasscheibe steht mitten im Raum, eingebettet in feinen Sand, darum bewegen sich eine Hure und ein junger Mann. Zunächst abwartend, finden sie doch zueinander, trennen sich sofort wieder und reden. Die Sätze kommen stockend, beinahe ohne Verben. Von Asphalt ist die Rede, von „steinernen Klagen an Augenringen“ und: „Ich wasche meine Sehnsucht in den Kläranlagen der Lust“. So gesprochen bei der MOKS-Premiere von Nameless B 2317 am Donnerstag im Concordia. Autor dieser Brachial-Zeile ist der Österreicher Michael Worsch, der auch Regie führte. Ein Stück um Jugendliche im Drogen-Dunstkreis sollte es werden, eine szenische Abfolge greller Bilder, die das Publikum in die Erfahrungs- und Erlebniswelt von Jugendlichen blicken läßt.

„Ich schreibe gegen das Chaos in meinem Kopf“, sagt Nameless (Anselm Haese), die drogensüchtige Titelfigur zu Beginn des knapp zweistündigen Stücks. Er, der dem Tode näher als dem Leben scheint und immer wieder in ferne, von Drogen verschleierte Phantasiewelten abgleitet, sucht mit dem Schreiben von Gedichten und Kurzprosa nach seiner Identität. Er findet sie am Ende — erstaunlicherweise, trotz Krankenhaus, Therapie und Knast. Er nutzt dabei die Hilfe von außen zur Selbsterkenntnis und findet neue Perspektiven. So gut, so positiv.

Aber Autor Worsch will mit Nameless B 2317, der Code steht für einen Zellenblock im Gefängnis, mehr. Er vernetzt das individuelle Drogen-Drama mit Real- Anleihen aus der Bremer Drogenpolitik, dem Golfkrieg und der Situation Bremer Jugendlicher. Die, so deuten es videoclip-artige Szenen an, wollen ihre Anti- Kriegs-Arbeit sinnvoll fortsetzen und wenden sich nach der „Befreiung“ Kuweits kurzerhand der Drogenarbeit zu. Ganz schön idealistisch, diese Jugend. Spannungen bleiben nicht aus. Fragile Beziehungen der Geschlechter zerbrechen, das Ziel des Projekts „Drogencafe“ ist auch nicht definiert, und so scheitern die Bemühungen an der eigenen Unfähigkeit.

Das mit vielen LaiendarstellerInnen inszenierte Stück realen Lebens, ständig zwischen mehreren Spielebenen springend, von einer sehr ansprechenden Bühnenmusik (Erich Radke, synth, Klavier und Lartey Larko, perc) begleitet, versagt aber genau dort, wo es lebensecht sein will. Es mag an der engen Verbindung von Vorlage und Regie in einer Person liegen, daß die Sprache dem Bühnenspiel immer einen Schritt voraus scheint und wie ein Zwangskorsett das Geschehen zuschnürt.

Mehr aber noch, bei aller Sympathie für die Spielfreude der AkteurInnen, geht einem schon nach kurzer Zeit dieses krampfhaft bemühte, beinahe berufs-jugendliche Gehabe der Clique auf die Nerven. Alle in der Gruppe verwenden ohne Unterlaß angestrengt Slang-Idiome, sind fortwährend oberkritisch bei der Sache und erlauben sich nicht den geringsten Ausrutscher.

Das Projekt „Nameless“, lange vorbereitet in der Theaterwerkstatt mit den Jugendlichen, verdient Achtung; die Moral von Nameless B 2317 dagegen ist wirres Zeug. Das Drogencafe platzt, und die Jungen bedrohen die Mädchen. Ein Mitglied der Gruppe begeht Selbstmord. Das Ganze soll pädagogisch in einem Fernsehfilm aufgearbeitet werden. Der Junkie, der sich selbst befreite, findet zur Frau. Da hat Michael Worsch an allen möglichen Strippen gezogen und nicht gewußt, was genau entstehen würde.

Jürgen Francke