Kosher Culture

■ Die Piamenta-Brothers kommen mit jüdisch-orthodoxer Popmusik nach Berlin

Daß Musik »mehr Überzeugungskraft als eine Million Rabbiner hat«, werden am Sonntag die Stars der jüdisch-orthodoxen Popmusik der neunziger Jahre, die Piamenta-Brüder aus Brooklyn/New York zu beweisen versuchen. Yossi und Avi Piamenta wollen mit ihrer fünfköpfigen chassidischen Rockband so viele nichtreligiöse Juden wie möglich erreichen — und gegebenenfalls nach dem Konzert ihren umkehrwilligen Brüdern beim schwierigen Umtun der Gebetsriemen behilflich sein. In ihren Texten ist nirgendwo von romantischer oder gar fleischlicher Liebe, viel jedoch von der Liebe zum Höchsten oder von der innigen Verbindung zu den Vorvätern Abraham, Isaac und Jacob die Rede. Kategorisch wird auch schon mal zum Fortwerfen des Schweinefleischs aufgefordert, zum strikten Einhalten der kashrut, der religiösen Speisegesetze, das zum einzig rechten »Torah lifestyle« führt.

Fast unbemerkt sogar innerhalb der jüdischen Gesellschaft hat sich in den letzten drei Jahrzehnten in den jüdisch-orthodoxen Gemeinden Amerikas, vor allem in Brooklyn, eine eigene religiöse Popmusik entwickelt. Als Zentrum der panjüdischen orthodoxen Kultur besitzt der New Yorker Stadtteil eine weltweite Bedeutung als Herstellungsort für religiöse Artikel, Bücher, Nahrungsmittel und Musik. Diese Musik, von der jährlich Hunderte von Kassetten auf den Markt gebracht werden, hat ihre Wurzeln in den chassidischen Melodien, die von zumeist chassidischen Überlebenden des Holocaust in den vierziger und fünfziger Jahren in die Neue Welt mitgebracht wurden. Der Chassidismus, die von Israel ben Eliezer im 18. Jahrhundert in Osteuropa gegründete Erneuerungsbewegung, betont die Wichtigkeit von Gesang und Musik bei der Religionsausübung. Durch das Singen der nigunim, Melodien, die keiner Worte mehr bedürfen, versetzen sich die zadikim, die chassidischen Führer, in den Zustand der Verbundenheit mit ihrem Gott. Das spezifisch chassidische Repertoire mußten sich die schon in Amerika geborenen jüdischen Musiker wie Chizik und Max Epstein erst von den zugewanderten zadikim und yeshiva boykherim, den Talmudschülern, aneignen. Jede chassidische Dynastie besaß ihre eigenen Melodien, ihre eigene Art zu singen. Lieber hätten die chassidim allerdings auf das musikalische Potential ihrer eigenen Leute zurückgegriffen, da die wenigsten Musiker und Bandleader der vierziger und fünfziger Jahre als »frum« (fromm) bezeichnet werden konnten. Schon bald wurden die geräumigen Festhallen Brooklyns und Manhattans mit Namen wie »Gold Manor« und »Riverside Plaza«, die schon amerikanische Gediegenheit versprachen, für die kinderreichen Familien zu Schauplätzen grandioser Feste. Der Bandleader Rudy Tepel und seine Frau Lucille, die das Orchester ihres Mannes damals managte, erinnern sich noch mit Vergnügen an eine Hochzeit in den späten Vierzigern an der Lower East Side zwischen den Familien zweier chassidischer Dynastien. Die gesamte Second Avenue mußte gesperrt werden, und die fünf Musiker spielten für fünftausend Gäste in einer Halle mit sieben zum Bersten vollen Sälen.

Berlin mit seinen heute höchstens vier orthodoxen Familien kann sich übrigens rühmen, Rabbi Israel, den Gründer der Modzhitzer Dynastie, zu einem der längsten nigunim inspiriert zu haben: Wie seine Anhänger sich erzählen, soll der Rabbi während einer Fußamputation aus der Narkose aufgewacht sein und angesichts der Schönheit der Stadt durch das Hospitalfenster die Melodie ersonnen haben. Rita Ottens

Sonntag, 16 Uhr,

im Hebbel-Theater