Männliche Archetypen?

■ Das Stück »Zerfall der Schwerkraft« als »work in progress« in der Tanzfabrik

Auf der Bühne steht allerhand ungewöhnliches Mobiliar, durch das mit Hilfe des gekonnten Lichtdesigns von Eric Veenstra vier räumliche Zentren entstehen, die den inneren Tanzraum umschließen. Diese vier raumstrukturierenden Orte: der Tisch mit transparentem Schachbrettmuster, die schräg stehende, sich nach unten verjüngende Wand, ein Gerüst und ein merkwürdig in der Luft hängendes Koffer-Licht-Objekt sind nicht zu deuten. Sie bilden vermutlich die vier Eckpunkte des Quadrates, in dem das Stück angeordnet ist.

Die beiden Tänzer benutzen die Bühnenbauten und ignorieren sie gleichzeitig. Sie dienen gelegentlich als Ausgangspunkt einer Bewegung. In der ersten Szene liegt einer der Tänzer unter dem Schachbrettisch, der andere sitzt daran. Das Spiel von Licht und Schatten, das durch die hellen und dunklen Flächen entsteht, hat dabei keine Bedeutung. Es sind aber vor allem die Minimaleffekte des Lichtes, der Musik von Eberhard Weber und auch der teils stark vereinfachten Bewegungen, die dem Stück eine bildhafte, beinahe theatrale Struktur geben. Sehr bald jedoch werden die lebenden Bilder aufgebrochen und mit improvisierten Choreographien, die sich aus dem Bewegungsrepertoire des Modernen Tanzes speisen, kontrastiert.

Kurt Koegel und Dieter Heitkamp, im Programmheft belegt mit viel rhetorischem Beiwerk, bemühen sich darum, »Bühnenbild und choreographische Form zu konfrontieren, zu verbinden und eine Klarheit und Synthese zwischen den Künsten zu finden«, auch »folgen sie den männlichen Archetypen auf der Straße der Helden und dem Pfad der Asche«. Das heißt nicht viel, aber es klingt gut.

Zwei Männer tanzen. Sie setzen Drehungen, Sprünge, Würfe und einfaches Gehen ein, um so vielsagende Themen, wie »Duell« oder »Feld« oder »Auftrieb« zu tanzen. Die immer wieder ausladenden und weitschweifenden Arm- und Beinbewegungen als Zeichen der Offenheit stehen dabei im Widerspruch zu den »männlichen Archetypen auf der Straße der Helden«. Überhaupt liegt der ganzen Aufführung ein eher zaghaftes, ja verletzliches Männerbild zugrunde. Der Mann als Opfer, als Gefangener seiner eigenen Gefühle, in die Zuneigung zu sich und dem homoerotisch identifizierten »Anderen« verstrickt, mit dem es jedoch auch ständig in Konkurrenz steht. Multiples sklerotisches Schattenboxen wechselt mit der narzißtischen Demonstration eines sich in den Mittelpunkt drängenden Ego.

Soweit der Tanz, dessen Kontrapunkt die Bilder sind. Die Lichtbildarchitektur, die mit Hilfe eines Overheadprojektors geschaffen wird, gibt der Inszenierung immer wieder statische Qualität. Durch den unverständlichen Wechsel zwischen Bildern und tänzerischer Dynamik entsteht aber eine Irritation. Es ist zu keinem Zeitpunkt klar, was das Stück eigentlich will. Auf eine ästhetische Weise unvollständig, wechselt es zwischen der sich aufbauenden Spannung — die zwischen den beiden Tänzern entsteht und die durch die immer wieder erlaubten Abbrüche der Tanzimprovisation real in der Gegenwart stattfindet — und einer visuellen, statischen Ebene, in der das Stück dem Symbolwert, bizarrer Bühnenbauten und einer farblich verspielten Lichtführung folgt.

Trotz großer verführerischer Kraft bleibt das Stück inkonsequent. Es ist nicht reines Tanzstück, aber auch kein Tanzstück ohne Tanz. Der von den Choreographen formulierte Anspruch, eine Synthese der verschiedenen Künste herzustellen, wird nicht erreicht, da die Beliebigkeit, mit der zwischen verschiedenen Kunstformen gewechselt wird, konzeptlos bleibt.

Kurz vor der Premiere wurde entschieden, daß das Stück nicht — wie ursprünglich geplant — mit drei Tänzern getanzt werden kann. Nach monatelangem Proben war Howard Sonenklar deshalb vor zehn Tagen ausgestiegen. Da das Stück allerdings irgendwann von vier Leuten getanzt werden soll, müssen die derzeitigen Aufführungen als »work in progress« verstanden werden. Waltraud Schwab

Zerfall der Schwerkraft (Tanzfabrik) in der Theatermanufaktur, Hallesches Ufer 32, nächste Aufführungen 28./29.3. und 31.3.-5.4., jeweils 20.30 Uhr