KOMMENTAR
: Die gläserne Polizei

■ Vor dieser Polizei braucht sich keiner zu fürchten

In Berlin erfüllt sich in diesen Tagen ein alter Traum von Bürgerrechtlern: Die gläserne Polizei wird Wirklichkeit. Weil sich der Polizeipräsident mit einem seiner höchsten Beamten verkracht hat, bemühen sich nun beide Seiten nach Kräften, tatsächliche oder vermutete Schandtaten des jeweils anderen an die Öffentlichkeit zu zerren. Die Furcht vor verdeckten Polizeiaktionen, die das neue Polizeigesetz bei einigen schürt, ist einstweilen auf alle Fälle unbegründet. Solange Georg Schertz und Manfred Kittlaus nebeneinander arbeiten, darf sich keiner auch nur einen falschen Schritt erlauben: Es könnte ja am nächsten Tag in der Zeitung stehen. Der Unterhaltungswert der Geschichte ist kaum hoch genug einzuschätzen. Da gibt es einen Polizeipräsidenten, der bis heute nicht restlos von dem Verdacht befreit wurde, mit einem Stasi-Mann über Dienstgeheimnisse geplaudert zu haben. Dann einen Landespolizeidirektor, der sich konspirativ mit denjenigen Journalisten trifft, die im Fall des Präsidenten recherchieren. Alles natürlich rein privat. Der Präsident wiederum reagiert darauf nicht mit disziplinarischen Schritten, sondern mit Hörfunkinterviews, in denen er schmutzige Wäsche wäscht. Alles Stoff genug für eine Vorabendserie im Fernsehen. Arbeitstitel: Das kleine Polizeipräsidium am Rande der Stadt.

Merkwürdig nur, daß der Innensenator und der Regierende Bürgermeister — beide gewöhnlich eher der Idee vom starken Staat verpflichtet — keine ernsthaften Anstrengungen unternehmen, diese lustigen Polizeifestspiele zu beenden. Gegen Schertz liegt ihnen — noch? — nichts vor, wohl aber gegen Kittlaus. Weil sie trotzdem unverdrossen Kittlaus stützen, bringen sie Schertz in die Zwickmühle. Geht er gegen Kittlaus vor, verdirbt er es sich mit dem Innensenator und der CDU. Tut er das nicht, schwelt der Konflikt weiter. Diepgen und Heckelmann müßten das wissen. Aber wahrscheinlich haben wir uns in beiden getäuscht: In Wahrheit sind sie heimliche Anarchisten. Hans-Martin Tillack