DEBATTE
: Schiß vor Shit, Herr Präsident?

■ Offener Brief an den Präsidenten des Bundeskriminalamts, Herrn Hans-Ludwig Zachert

Lieber Herr Zachert,

gestatten Sie mir die emphatische Anrede, die aus dem Wunsche resultiert: Hätten Sie nicht Lust, mit mir gemeinsam einen Joint durchzuziehen? Wie denn, Sie haben Schiß vor Shit, Herr Präsident? Oder wenn schon, dann nicht mit mir? Na schön, das kann ich eher verstehen. Aber ernsthaft: Im Grunde liegen alle Argumente über Haschisch und Marihuana (Cannabis) auf dem Tisch, zu erörtern ist lediglich, wie Sie und Ihre Behörde damit umgehen. Ich schreibe Ihnen in meiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender von „Business Crime Control“ (BCC), weil die Zusammenhänge zwischen Drogenpolitik und Wirtschaftskriminalität unabweisbar sind.

Aufklärung, nein danke!

Da das Bundeskriminalamt seit Bestehen seinem Ministerium treu ergeben ist, ist natürlich auch an die Adresse des Bundesinnenministeriums die Frage zu richten, wie lange die beiden obersten Bundessicherheitsinstanzen die Diskrepanz zur Verfassungswirklichkeit aufrechterhalten wollen. Daß auf dieser Seite Hardliner ihre politischen Auffassungen durchsetzen, unabhängig von großen Wenden (siehe z.B. Terrorismusbekämpfung unter der SPD), scheint systemimmanent zu sein — selbst wenn sich in der Gesellschaft längst ein Wandel vollzogen hat, wie zum Beispiel bei Abtreibung und Homosexualität.

Auch in der Drogenfrage geht es zu einem gut Teil um Moral. Die Kriminalisierung eines Tuns oder Unterlassens hat zwangsläufig auch dessen Stigmatisierung zur Folge. Behörden wie die Ihre haben leichtes Spiel, den Teufel an die Wand zu malen. Nichts, aber rein gar nichts hat Ihre Behörde dazu beigetragen, zwischen den einzelnen Suchtstoffen dahingehend zu differenzieren, daß Sie die Öffentlichkeit aufgeklärt hätten, welche Unterschiede hinsichtlich der Gefährlichkeit bestehen. Stattdessen förderten Sie unter dem Rubrum „Rauschgift“ den allgemeinen Eindruck: Mit Marihuana hängt man irgendwann „todsicher“ an der Nadel.

Sie haben vor geraumer Zeit in einer ZDF-Talkshow gesagt, daß Sie schon jedwede Diskussion über eine Liberalisierung des Betäubungsmittelrechts für schädlich halten und am liebsten ganz unterbinden würden. Was, sehr geehrter Herr Zachert, haben Sie eigentlich für ein Demokratieverständnis?

Man kann sich gut vorstellen, wie schwer es Ihnen und Ihren führenden Mitarbeitern fallen muß, umzudenken. Da ist verdammt viel Beamtenschweiß in Bekämpfungskonzepte, Strategiepapiere und taktische Grundsatzüberlegungen geflossen, dem internationalen Handel mit Haschisch und Marihuana das Wasser abzugraben. Unzählbare Konferenzen wurden dem Thema gewidmet, besonders im internationalen Bereich, in dem Sie eine Schrittmacherfunktion einnehmen. Weiterhin verbreiten BKA-Experten weiter, Haschisch und Marihuana seien Einstiegsdrogen — was international wissenschaftlich schon längst widerlegbar ist: Es gibt nicht die Einstiegsdroge, vielmehr wird häufig alles durcheinander konsumiert, oder aber die Drogenkarriere beginnt direkt mit Heroin oder Kokain.

Wenn ein hoher Prozentsatz der Eigentumskriminalität durch Drogen-Beschaffungskriminalität verursacht wird und einen Milliardenschaden anrichtet, weil ein Heroin- Konsument in der Regel nur illegal tägliche 300 DM für seinen Stoff aufbringen kann, dann ist das ein Grund mehr, sehr geehrter Herr Zachert, nicht durch noch mehr Kriminalisierung, Lauschangriffe in der Privatsphäre, sogenannte milieubedingte Straftaten, Undercover-Einsatz u.s.f. Probleme zu vergrößern. Es bietet sich doch der andere Weg nachgerade an — behutsam natürlich, Schritt für Schritt, national und international, dem schwarzen Markt seine Wirkung zu entziehen, die Preise kaputt zu machen durch legalen Ersatz, der synthetisch für Pfennigbeträge hergestellt werden kann.

Ein anderes Problem: In wieviel deutschen Gerichtsverhandlungen noch muß eigentlich der Vorwurf erhoben werden (oft von allen Prozeßbeteiligten außer der Staatsanwaltschaft), daß das BKA oder das LKA oder sonst eine Kripodienststelle durch V-Mann oder Undercovereinsatz überhaupt erst den großen Deal ins Rollen brachte! Daß der Stoff von der Polizei im Ursprungsland bestellt wurde, um dann in deutschen Landen schlagzeilenträchtig beschlagnahmt zu werden, wird hier und da sogar von einem Polizeipräsidenten eingeräumt, noch nie von Ihnen, Herr Präsident. Was wäre, wenn die Polizei dadurch die Produktion anheizt, was wäre, wenn die Polizei indirekt auf die hohen Preise (Beschaffungskriminalität!) einwirkt, weil Risiko und Verlust sich nach den Gesetzen der Marktwirtschaft so auswirken? Der „Erfolg“, das polizeiliche „Kilo-Denken“ befriedigen höchstens eigenes Streben nach dem, was man polizeiintern unter Berufsimage versteht, lösen aber nichts.

Ja, Herr Zachert, ich gebe Ihnen recht, Gesetze in diesem Bereich zu liberalisieren bedeutet, vor Rauschgift zu kapitulieren. So tun Sie es doch endlich, die Polizei sollte das Handtuch werfen meine ich, sie muß einsehen, daß sie das mit ihren Mitteln nicht lösen kann. Dafür spricht doch wirklich alles: Die internationalen Drogenkartelle haben sich längst in Staat und Gesellschaft eingekauft. Und keiner Polizei der Welt ist es bisher gelungen, diese Syndikate mehr als nur an ihrem untersten Rand der Hierarchie zu treffen. Auch Sie vom BKA beschlagnahmen zwar Hunderte von Kilo, aber Sie fangen die Kleinen. Jede Lücke wird durch zwei Nachfolger geschlossen. Aber alle Kartelle werden wie Kartenhäuser zusammenbrechen, wenn ein Gramm Suchtstoff durch den Endverbraucher nicht für 300, sondern für 3 Mark erworben werden kann.

Ich weiß, Herr Präsident Zachert, die Jugend! Sie unterstellen, daß es dann eine Rauschgiftschwemme geben wird. Ich halte dagegen, daß Legalisierung harter Drogen nicht bedeuten soll, den Stoff in der Bahnhofsapotheke kaufen zu können. Ich verstehe darunter eine kontrollierte Verabreichung unter ärztlicher Aufsicht mit überwachenden Urinuntersuchungen. Die Methadonsubstitution zeigt bereits den richtigen Weg. Und ich meine, daß die Legalisierung von Haschisch und Marihuana eine Entmystifizierung bewirken wird. Es gilt dann nicht mehr als chic, spannend oder abenteuerlich, verliert insbesondere bei Jugendlichen seinen Reiz. Und wenn man schon Alkohol nicht verbieten kann, der weitaus gefährlichere Auswirkungen hat, dann sollte man sich über die Marihuanazigarette nicht mehr aufregen als über eine Flasche Bier.

Kapitulieren Sie endlich!

Sie denken nicht daran, sich den Ast, auf dem Sie sitzen, selbst abzusägen? Die Macht, Herr Präsident, die Sie verlieren, sie sei Ihnen nicht genommen! Ihre tapferen Soldaten im Drogenkrieg könnten auf einen wichtigen anderen Kriegsschauplatz wechseln, nämlich den der Wirtschaftskriminalität. Sie könnten international und national (Ostländer!) ein weites Feld beackern — vom illegalen Waffenhandel über Nuklearkriminalität, Umweltverbrechen mit Giftmüll bis hin zu den klassischen Bereichen des Großbetrugs. Dann wird sich ihre BKA-Statistik sehen lassen können: Denn Sie haben nicht nur die Eigentumskriminalität um die Fälle der Beschaffungskriminalität reduziert, sondern gleichzeitig Bereiche der Wirtschaftskriminalität zerschlagen, die sonst auch mit Milliardenschäden verbucht werden müssen. Und für die Bearbeitung der Ex- DDR-Regierungskriminalität hätten Sie endlich personelle Kapazitäten frei.

Ich denke, sehr geehrter Herr Zachert, mit Rauschgiftbekämpfung hat die Polizei eine Lebenslüge verinnerlicht — nehmen Sie Abschied davon, es ist ein schmerzlicher Prozeß, aber die Gesellschaft wird es Ihnen danken. Dieter Schenk

Langjähriger Leiter der Rauschgiftzentralstelle im Hessischen LKA, dann acht Jahre Kripo- Chef im Polizeipräsidium Gießen, 1981-1990 Kriminaldirektor in der Stabsstelle Interpol des BKA als Sicherheitsberater des Auswärtigen Amtes; lebt heute als freier Publizist in Mittelhessen; im Mai erscheint „Wirtschaftsverbrechen — Innerer Feind der freien Marktwirtschaft“.