„Hans hat der Türkei den Krieg erklärt“

■ Regierung in Ankara und türkische Medien reagierten scharf auf Bonner Waffenembargo — Handelsboykott in Planung/ EG und USA wollen Genscher („Hans“) nicht beim Protest folgen

Berlin (taz/ap/apf/dpa) — Am Tag, nachdem die Bundesregierung einen Waffenlieferstopp gegen die Türkei verfügt hat, eröffneten türkische Medien und Politiker eine zweite Front. Diesmal richtet sich der Angriff gegen „unseren großen Freund“, wie Premierminister Suleiman Demirel die Bundesrepublik nennt. „Zum Teufel mit deiner Hilfe!“ titelte das Massenblatt 'Hürriyet‘ seinen Bericht über Deutschland, das seine Arme angeblich der Guerillaorganisation PKK geöffnet hat. Die 'Milliyet‘ schrieb unter der Überschrift: „Hans erklärt der Türkei den Krieg“, der deutsche Außenminister habe „die Freundschaft beiseite geschoben“, sei zum Angriff übergegangen und habe die „EG auf die Türkei gehetzt“. Der Gewerkschaftsbund Türk-Is nannte die Bonner Politik einen „Dolchstoß von hinten“. Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Bülent Ecevit rief zum Boykott deutscher Produkte auf, und die Istanbuler Handelskammer, mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation des Landes, bereitet konkrete Schritte vor, um den Handel mit der Bundesrepublik einzuschränken.

Aus der türkischen Regierung kamen widersprüchliche Reaktionen. Vor allem pocht Ankara auf sein Recht, den Terrorismus zu bekämpfen. Verteidigungsminister Nevzat Ayaz gab gestern indirekt zu, daß deutsche Waffen gegen Kurden eingesetzt würden, versicherte jedoch, dies geschehe „keineswegs systematisch“. Nur bei „außergewöhnlichen Umständen“, wenn die Polizei „im Kampf gegen Anarchie und Terror“ überfordert sei, könne der Provinzgouverneur Einheiten der Armee zu Hilfe rufen. Ob dabei deutsche Waffen eingesetzt wurden, werde noch untersucht. Besonders beeindruckt durch das Waffenembargo zeigte sich die Regierung jedoch nicht. Notfalls, so Regierungssprecher Akin Gönen, könne man den türkischen Rüstungsbedarf ja auch „in Rußland, der Ukraine oder der CSFR abdecken“. In Bonn, wo gestern Regierungssprecher Vogel weitere Details über die Anwendung von NVA-Waffen in Kurdistan bekannt machte, kochte unterdessen schon der nächste Rüstungsskandal hoch: Gegen das eindeutige Votum des Haushaltsausschusses des Bundestages sind in den vergangenen Monaten fünfzehn Leopard-I-Panzer mit Wissen des Verteidigungsministeriums nach Ankara geliefert worden. Erst nachdem der illegale Rüstungsdeal perfekt war, bat Finanzstaatssekretär Manfred Carstens den Haushaltsausschuß am 16. März darum, die „Einfrierung“ der Panzer wegen der türkischen Bombardements im Nordirak aufzuheben. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums versuchte die Hintergehung des Parlamentes gestern allen Ernstes mit „Versäumnissen im Beamtenapparat“ abzutun.

Die von Außenminister Genscher um eine gemeinsame Protestnote in Ankara gebetene EG verhält sich sehr zögerlich. Bis gestern kam keine Einigung zustande. Lediglich die Niederlande, Dänemark und Griechenland waren zu einer gemeinsamen Demarche bereit. Bei den anderen Mitgliedsländern der Zwölfergemeinschaft, an deren Tür die Türkei seit Jahren beharrlich klopft, überwogen offenbar die Ängste vor den nationalistischen Bestrebungen in ihren eigenen Ländern. Wie schon bei der Debatte über die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens haben auch jetzt vor allem Frankreich, Großbritannien und Spanien Vorbehalte gegen ein gemeinsames Vorgehen der EG. In einem ausgesprochen vage formulierten „Bedauern“ über Gewalt, „egal von welcher Seite sie kommt“, schaffte es der französische Regierungssprecher gestern in seinem Kommentar zur Türkei, den deutschen Waffenlieferstopp mit keinem Wort zu erwähnen.

Auch in Washington fand der Bonner Schritt weder Nachahmung noch Beifall. Im Gegenteil: Die amerikanische Regierung würdigte den Kampf der Türkei gegen die Guerillaorganisation PKK. „Wir hoffen“, erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Margaret Tutwiler, „daß die grenzüberschreitenden türkischen Einsätze rasch abgeschlossen werden und der Tod oder die Verletzung unschuldiger Zivilisten vermieden wird.“ Gleichsam zur Belohnung wurde am Donnerstag im texanischen Fort Worth eine Vereinbarung über den Lizenzbau weiterer 40 US-Kampfflugzeuge des Typs F 16 in der Türkei unterzeichnet. Dorothea Hahn