Der Einsame im Belvedere

Polens Präsident Lech Walesa: Ein Staatsmann schwankt zwischen Intuition und Kalkül  ■ Aus Warschau K. Bachmann

Noch heute können die Historiker auf die Minute genau angeben, wie lange Lech Walesa 1990 nach seiner Rede vor dem amerikanischen Kongreß Standing ovations entgegennahm. Der Empfang in Washington wirkt weiter. Nach wie vor ist Walesa davon überzeugt, in den USA den besten und zuverlässigsten Verbündeten zu haben. Von seiner Kritik in Straßburg, der Westen verstehe Polen nicht, nahm er die USA ausdrücklich aus.

Seither ist jede Menge Wasser die Weichsel hinuntergeflossen. Noch 1990 verfügte Walesa über eine Vielzahl von Beratern, die nicht nur die USA, sondern auch Westeuropa hervorragend kannten und über gute Kontakte verfügten. Die meisten von ihnen haben sich in der Zwischenzeit von ihm abgewandt. Einige hat er sogar selbst in die Wüste geschickt — wie 1990, während seines Präsidentschaftswahlkampfes, seinen linksliberalen Berater Prof. Geremek — und gegen wenig erfahrene Konservative eingetauscht. Doch auch von ihnen hat er sich inzwischen getrennt. Geblieben ist einzig der parteipolitisch nicht engagierte Soziologieprofessor Janusz Ziolkowski, der als Staatsminister das Präsidialamt leitet.

Wer darüber hinaus den Präsidenten berät, ist seither Gegenstand zahlreicher Spekulationen. In deren Mittelpunkt steht Mieczyslaw Wachowski, der ehemalige Fahrer des Gewerkschaftsvorsitzenden Walesa. Wachowski befand sich immer in der unmittelbaren Umgebung Walesas; ihm wird, obwohl er lange ohne Amt und Würde war, ein gewaltiger Einfluß zugeschrieben. Bekannt wurde auch, daß Wachowski— inzwischen vom Leiter des Präsidialkabinetts zum Staatssekretär avanciert— Militärs empfängt und politische Intrigen vorbereitet. Auf der Protokolliste seines Deutschlandbesuchs figuriert Wachowski sogar vor Außenminister Skubiszewski und Finanzminister Olechowski. Eine Tatsache, die Präsidentensprecher Drzycimski, ebenso loyales wie farbloses Mitglied des Walesa-Hofstaates, völlig normal findet.

Walesas Außenpolitik ist in vieler Hinsicht ein Gemisch aus Intuition und Kalkül. Als erster Politiker in Polen forderte er 1990 den Abzug der sowjetischen Truppen aus Polen und stellte sich solchen Bestrebungen entgegen, die die Rote Armee als Pfand gegen Deutschland einsetzen wollten. Vor seiner Präsidentschaft bestand seine Außenpolitik vor allem darin, für Finanzhilfe und Investitionen in Polen zu werben. Seit er Präsident geworden ist, hält er sich aus der Außenpolitik meist heraus. Das Verhältnis zwischen seinem Chefberater Ziolkowski und Außenminister Skubiszewski gilt als gut. Walesa persönlich soll Skubiszewski von dessen Rücktrittsabsichten bei Amtsantritt der Regierung Olszewski abgehalten haben.

So sicher sich Walesa innenpolitisch fühlt, so sehr schwimmt er außenpolitisch. Das zeigte sich nach dem Moskauer Putsch, als er ins Kreuzfeuer der Kritik geriet — an dem sich selbst seine Anhänger beteiligten —, weil er tagelang auf Tauchstation ging und schließlich statt mit Boris Jelzin mit seinem kommunistischen Vorgänger General Jaruzelski telefonierte.

Eine klare außenpolitische Linie ist bei Walesa ebensowenig zu erkennen wie eine deutschlandpolitische. Seine Äußerungen sind häufig in sich widersprüchlich. Nicht selten interpretiert er sie im nachhinein sogar ins Gegenteil um. Was nach außen hin als Unberechenbarkeit erscheinen mag, hat seine Ursachen allerdings auch oft darin, daß Walesa seine Interviews, die er in letzter Zeit mehrmals wöchentlich gibt, praktisch nie autorisieren läßt. Erst seitdem infolge von journalistischen Unachtsamkeiten oder Übersetzungsfehlern einige drastische Mißverständnisse zutage traten, werden Walesas Äußerungen auch von seinem Pressebüro getrennt aufgezeichnet.