Warum ausgerechnet Annette?

■ Heute wird der neue 20-Mark-Schein mit Porträt der Annette von Droste-Hülshoff ausgegeben

Ab heute, dem 30. März 1992, ist Annette gesetzliches Zahlungsmittel. Automatengerecht. Die neue Note ist der Bundesbank eine Feierstunde in Münster und Meersburg wert, samt einer Würdigung seitens der Herren Dr. Tietmeyer und Dr. Storch. „Vor und nach der Feierstunde gegen 10 Uhr beziehungsweise 13 Uhr besteht für Journalisten die Möglichkeit eines Interviews mit Herrn Dr. Storch über aktuelle Fragen aus dem Bereich der Notenemission und über Falschgeldangelegenheiten.“ Darüber freuen wir uns aber sehr.

Warum aber Annette von Droste- Hülshoff? Warum nicht Else Lasker- Schüler, Ingeborg Bachmann, Rose Ausländer, Hildegard von Bingen oder Karoline von Günderode? (Über die man allesamt den Stab des deutschen Bankreimes hätte brechen können, sie seien Poetinnen „mit eigener Note“.) Wir glauben, die Bundesbank hat sich geirrt. Annette, die von den Männern enttäuschte Frau, die Herrin über Grundbesitz und Bibliothek, die so sehr einsame Dichterin auf der Burg, kommt der Geschichtsschreibung entgegen durch ihre „tief empfundene Religiösität“: So befremdlich sie sonst war — tief christlich hat sie immerhin empfunden.

Ach, wenn die Herren wüßten! Denn Annette hat nicht nur Schleiermacher und Sailer gelesen und nicht nur die esoterische Naturphilosophie der Theosophen, den Mesmerschen Magnetismus — soweit ihr, der die Herren das ordentliche Lernen an der Universität versagten, der Anschluß ans männliche Wissen möglich war. Annette hat ihre Naturverbundenheit, die so bekannte Schwärmerei, so betrieben und gelebt, daß sie eher einer anderen Tradition angehört; einer, die heute erst langsam freigelegt wird.

Zehn Jahre vor ihrer Geburt wurde in Deutschland die letzte Hexe verbrannt: damit war der physische Ausrottungsprozeß einer Spiritualität, welche die christliche Kirche bedrohte, vorerst abgeschlossen. Was dem Übersinnlichen zugehörte, mußte von nun an christlich sein oder war nicht vorhanden — bis in den letzten Jahrzehnten die Frauenforschung sich neben dem verschütteten matriarchalen Wissen auch dem verbotenen Nichtwissen annahm. Nicht auszuschließen ist, daß eine revidierte Interpretation von Annette von Droste-Hülshoffs Denken auch eine Umwertung ihrer Religiösität erbringt.

Vielleicht aber hat sie etwas ganz anderes für die Banknotenzierde qualifiziert als ihr vermeintliches Christentum (die damit gemeinhin verbundene Anständigkeit & Sitte, die Sublimierung des Weiblichen zum Vers): die Tatsache, daß sie, im Gegensatz zu fast allen anderen DichterInnen, keine Bettelbriefe schreiben mußte.

So ist wohl nichts Herabsetzendes über den abstrakten Tauschwert Geld von ihr überliefert, so kann man ihr jenes entspannte Verhältnis zum Gelde zuschreiben, das auch den Herren Tietmeyer und Storch zu eigen ist: Wenn frau es hat, muß sie nicht drüber reden. Obwohl gerade Annette gewußt haben wird, was jede/r einzeln erst mühsam lernen muß: Geld macht reich. Sonst gar nichts. ES