PORTRÄT
: Am Ende einer Karriere

■ Als Verteidigungsminister kommt Stoltenberg aus den Affären nicht mehr raus/ Immer findet er einen Schuldigen

Ich war's nicht, Hänschen Pfeiffer war's, Barschel war's, meine Beamten waren es, oder mein kleiner Bruder war's. Spätestens seit Stoltenberg ins Bundesverteidigungsministerium wechseln mußte, erinnern seine sporadischen Fernsehauftritte immer mehr an Erklärungen bockiger Kinder: Egal wie tief er seine Finger in der jeweiligen Affäre stecken hat, schuld sind immer die anderen. Wenn, wie jetzt, Panzer gegen den erklärten Willen des Parlaments in die Türkei geliefert werden, waren es die Beamten. Wenn Waffen als Mähdrescher deklariert zur Verschiffung nach Israel im Hamburger Hafen auffliegen, hat der BND ihn hintergangen. Wenn sein Generalinspekteur als neue Aufgabe der Bundeswehr die weltweite Rohstoffkontrolle verfassungswidrig zum strategischen Konzept erklärt, geht es ihn nichts an. Wofür, fragt sich da nicht mehr nur die Opposition, ist dieser Verteidigungsminister eigentlich da?

So recht beantworten kann diese Frage wohl auch sein oberster Dienstherr Helmut Kohl nicht mehr. Stoltenberg ist auch in den Augen der CDU- Spitze längst ein Mann ohne jede Fortune. Das Peinliche an dem einstigen Hoffnungsträger der Partei ist, daß seine Karriere 1988 zu Ende war, ohne daß er dies bemerkt hätte. Als sein Nachfolger in Kiel, Uwe Barschel, tot aus der Badewanne im Beau Rivage gefischt wurde, war damit auch Stoltenberg de facto politisch ein toter Mann. Zwar mobilisierte der damalige Landesvorsitzende der CDU-Nord erfolgreich seinen gesamten politischen Einfluß, um für die Barschel-Affäre nicht direkt politisch verantwortlich gemacht zu werden. Doch seitdem ging es nur noch bergab. Im Januar 1989 trat er nach 17 Jahren vom CDU-Vorsitz in Kiel zurück, darüber hinaus zwang Kohl den Finanzpolitiker Stoltenberg, sein Ressort an CSU- Chef Waigel abzugeben und in das ungeliebte Verteidigungsministerium einzuziehen.

Seitdem ist Stoltenbergs Image, den seine Partei immer als den „kühlen Klaren aus dem Norden“ zu verkaufen suchte, erkennbar getrübt. Die treffendste Beschreibung lieferte der langjährige SPD- Vorsitzende im Norden, Jochen Steffen. Stoltenberg sei „der zum Machtapparat gewordene Mensch, der im herrschenden sozialen Büdnis genau die richtigen Interessen bedient, so daß es auch ihm dienlich ist und er zu weiteren Ämtern und Würden gelangt“. Als Verteidigungsminister kam der gescheiterte Landesvorsitzende mit dieser Politik nicht mehr weiter; statt dessen mußte der Apparatschik miterleben, wie ihm der Apparat entglitt. Stoltenberg macht schon lange keine Politik mehr. Mit seiner letzten großen politischen Aktion, der Steuerreform, die ein Jahrhundertwerk werden sollte, scheiterte er noch als Finanzminister. Ab da wurde er zuständig für Affären. Außer Barschel beschäftigte ihn jahrelang der Verdacht, er sei der eigentliche Drahtzieher der illegalen U-Boot-Lieferungen an Südafrika gewesen. In Insiderkreisen ist das Gerücht nicht aus der Welt zu schaffen, Stoltenberg hätte den deutschen Part in der amerikanischen Irangate-Affäre innegehabt, und in seiner Funktion als Verteidigungsminister sei er zum obersten deutschen Waffenexporteur geworden.

Klar ist jedenfalls, was er nicht gemacht hat. Stoltenberg war in keiner Weise in der Lage, politische Konsequenzen aus dem Ende des Kalten Krieges zu ziehen und die Rolle der Bundeswehr neu zu definieren. Seine Leistung bei der Integration der früheren NVA in die Bundeswehr hat erst kürzlich der Wehrbeauftragte des Bundestages, der CSU- Abgeordnete Biehle, gewürdigt: Noch nie sei die Stimmung in der Truppe so schlecht gewesen wie im letzten Jahr. Die Lage sei so dramatisch, daß selbst bei hohen Offizieren mit Disziplinlosigkeit gerechnet werden muß. Kein Wunder, wenn Stoltenberg jeden Skandal seine Leute ausbaden läßt.

Zweifellos ist der Mann am Ende seiner Karriere, doch ob er deshalb zurücktritt? Nach dem Motto „Totgesagte leben länger“ hat Stoltenberg eine bis dato auch in Bonn unübertroffene Qualität als Stehaufmännchen entwickelt. Während Lothar Späth beispielsweise für falsche Spesenrechnungen dran glauben mußte, Albrecht und Wallmann in ihren Affären schlicht versanken, klebt Stoltenberg weiterhin auf der Oberfläche des Sumpfes. Für Kohl hat er allmählich die Funktion eines Watschenmannes, an dem die Opposition sich abarbeiten kann. Bleibt Stoltenberg uns auch nach dieser Affäre als Verteidigungsminister erhalten, kann er für sich in Anspruch nehmen, am deutlichsten zu demonstrieren, wie aus einem personifizierten Machtapparat eine traurige Ruine wird. Jürgen Gottschlich