Grünes Licht für ein reines Gewissen

■ Die Müllsituation wird die neue Verpackungsordnung aus dem Hause Töpfer mit der Entsorgung per "Dualem System" sicher nicht verbessern helfen. Denn ob mit oder ohne "Grünen Punkt": Die Menge wird...

Grünes Licht für ein reines Gewissen Die Müllsituation wird die neue Verpackungsordnung aus dem Hause Töpfer mit der Entsorgung per „Dualem System“ sicher nicht verbessern helfen. Denn ob mit oder ohne „Grünen Punkt“: Die Menge wird dadurch nicht weniger, und Arbeit macht es auch.

Die Kunden in Berlin- Kreuzberg packen schon längst aus, bevor sie einpacken: Bei Kaiser's am Kottbusser Tor standen die Container schon im Vormärz der Töpferschen Müllrevolution bereit: kleine, grüne Kisten mit Schildern für Holz, Plastik und Pappe. Im Supermarkt gleich nebenan gibt sich ganz entspannt die „Haste-mal-ne- Maak-Kundschaft“; die Gegend um das Kottbusser Tor ist nicht nur, wie das Politiker nennen, ein „sozialer Brennpunkt“, sondern auch, weiß der stellvertretende Marktleiter, „besonders ökologisch bewußt“ besiedelt. Hier wird schon seit Monaten ausgepackt, die Firma sortiert und entsorgt mit und ohne Grünen Punkt. Der junge Mann trägt die Aussicht auf die Müllflut, die seine Filiale zum 1. April erwartet, mit Humor. Und er findet es richtig, Hersteller in die Pflicht zu nehmen, die immer noch „Doppelverpackungen“ anliefern. Das hat für ihn allerdings seine Grenzen. Ein schneller Schritt zum Regal mit den Fischkonserven, raus mit den Ölsardinen, den Schillerlocken und den eingelegten Muscheln: „Wenn Sie die alle auspacken, wissen Sie zu Hause nicht mehr, was drin ist!“ Auch die Recycling-Pappe für frische Erdbeeren hat sich nicht bewährt. Jetzt schimmeln sie wieder sichtbar in Plastikschälchen. Besonders angetan hat es diesem Filialleiter das hauseigene Konfekt. Nein, den Karton kann man noch nicht mitessen, wohl aber die Pralinenhüllen aus Waffelteig.

Sein Kollege bei Reichelt nebenan sieht das alles ernster. Ja, sie haben einen Container, ja, die Kunden packen jetzt schon aus. Aber am Ende, sagt er, zahlt das der Verbraucher. Grüner Punkt? Alles Unsinn, das werde die Müllmenge bestimmt nicht verringern. Der Filialleiter teilt seine Bedenken nicht nur mit dem bayerischen Umweltminister Peter Gauweiler. Auch Umweltschützer sprechen von „Mogelpackung“.

Der „Punkt“: Ohne Reue genießen und wegwerfen

Das „Duale System Deutschland GmbH“, die die neue Verpackungsverordnung umsetzen will, ist ein privater Zusammenschluß von rund 600 Firmen, darunter etliche Verpackungshersteller. Die Firmen haben je 5.000 Mark in die GmbH eingezahlt, um ihre Unterstützung des Dualen Systems zu dokumentieren, wie es in der Zentrale in Bonn heißt. Mit dem „Grünen Punkt“ dürfen diejenigen Unternehmen ihre Warenverpackung schmücken, die schon jetzt pro Verpackung eine Pfenniggebühr bezahlen. Ihnen wird damit bescheinigt, daß ihre Verpackung im Rahmen des „Dualen Systems“ recycelt werden kann — nicht muß. Und dem Kunden wird signalisiert, daß er die Zahnpastatube mit Punkt in die Extratonne des „Dualen Systems“ stecken darf.

Kritiker rechnen damit, daß sowohl die Rücknahme durch den Händler als auch die vorerst in 60 Landkreisen im Modellversuch aufgestellten gelben Mülltonnen — die „haushaltsnah“ aufgestellt werden— die Müllsituation verschlechtern statt verbessern werden. Im Gegensatz zur Getrenntmüll-Sammlung lande ein kaum sortierbarer Mischmasch in den Tonnen und bei den Entsorgern. Ein Teil bleibt unsortierbarer „Rest“ und landet wieder auf der Deponie; ein anderer Teil, vor allem der Kunststoff, wird zwar sortiert, aber man weiß nicht, wohin damit. Dieser Haufen — den Verbrauchern aus den Augen, aus dem Sinn — läge dann, statt recycelt zu werden, als Sekundärrohstoff auf Halde und müßte ins Ausland exportiert oder mit neuen Gesetzen in den kommunalen Verbrennungsanlagen vernichtet werden.

Die Probe aufs Exempel in den Regalen von vier Supermärkten und Kaufhäusern gibt den Skeptikern vorerst nicht unrecht. Der Grüne Punkt scheint vor allem ein graphisches Problem zu sein. Er ist nicht immer grün. Er prangt rot, lila, unauffällig braun, schwarzweiß, in allen Farben und Größen, kunterbunt— aufgedruckt, aufgeklebt, ins Preisschild integriert. Die Schokoladenosterhasen tragen ihn heuer besonders reizend auf dem Stanniolhinterteil. Und dort signalisiert er in Alu und ganz kokett, daß ohne Reue genossen und weggeworfen werden darf. Bei einigen Produkten ist er nur ein neues Emblem unter vielen: Umweltengel, sauerstoffgebleicht, Recycling-Hinweis und so weiter. Nie zuvor haben sich beispielsweise Verbraucher so umweltfreundlich den Hintern geputzt wie heute. Nur die Hersteller von Luxus-Lebensmitteln aus dem europäischen und amerikanischen Ausland ignorieren den Trend. Im KaDeWe, dem Nobelkaufhaus am Berliner Wittenbergplatz, sind die grünen Pünktchen spärlich gesät. Dafür ist das Personal gut geschult. Dezente Schilder mahnen in strengem Tonfall, daß es Plastiktüten in Zukunft nur noch auf „ausdrücklichen Wunsch“ gibt. Baumwollsäckchen sind für eine Mark zu haben.

Nicht nur das Auge, auch das Gewissen ißt mit

Daß die Müllentsorgung Frauensache ist, bestätigt sich beim Gang durch die Non-Food-Abteilungen. Der Grüne Punkt, der in den meisten Lebensmittelläden eher mehr denn weniger Einzug gehalten hat, verliert sich hier gänzlich: Computer, Werkzeug, Haushaltsgeräte, eingeschweißte Messer und Scheren, Bücher, Spielwaren-Kartons stehen bar des Emblems da — so, als wisse die Industrie bei ihren nach Stückzahlen und Packungsgröße gestaffelten Abgaben an das „Duale System“ ganz genau, daß das Umweltbewußtsein der Nation zum einen vor allem durch den Magen geht, zum anderen weibliche Kunden besonders anspricht. Nicht nur das Auge, auch das Gewissen ißt mit.

Völlig vernachlässigt haben die Stammtischstrategen für und wider den „Grünen Punkt“ aber eins: Wenn die Industrie nur auf die Umverpackung verzichtet und nicht auch die Packung selbst kreativ umrüstet, wird aus Töpfers Müllgesetz noch zusätzlich ein Problem für der Hausfrau reines Gewissen. Wenn sie nämlich auspackt, kann sie schlechter tragen. Viele Hersteller haben schon auf die „Umverpackung“ verzichtet. Damit fangen die Schwierigkeiten aber erst an: Nudeln in der Plastiktüte, nicht auspackbar, schon gar nicht zusammen mit dem Kaffee, dem Gries, den Eiern, der Milch, der Butter, dem verschweißten Schimmelkäse... Die Hausfrau des Jahres 2000 schleppt nicht nur die Behälter, sondern ihren kompletten Schmuddelkram, der vom Essen zum Abfall wurde, statt in die gelbe Mülltonne zurück in den Supermarkt. Küchen- und Gartenabfälle, haben Statistiker von der Kartoffelschale bis zum Kaffeesatz errechnet, machen ohnehin einen größeren Teil des Hausmüllberges aus als Verpackungen. Heide Platen