Musik? Scharlatanerie!

■ Aufruhr: 1 Schlagzeuger, 42 Gongs, 56 Minuten

Einige Kenner des Komponisten gingen vor diesem Stück nach Hause. Die anderen harrten auf eine deutsche Erstaufführung mit der Frage: Was macht 1 Schlagzeuger mit 42 thailändischen Gongs in 56 Minuten? Der rumänische Komponist Radulescu fand eine simple Lösung: Der Musiker mußte sich mit 2, 3 oder 4 Gongs gleichzeitig langsam vom tiefsten zum höchsten durchklöppeln. Und nach 28 Minuten wieder herunter. Offensichtlich war damit die kompositorische Energie erschöpft, sodaß er auf weitere musikalische Feinheiten verzichtete.

Diese Trommelfellplage hieß „The Outer Time“ und war der Abschluß einer Tagung, in der es unter anderem um die behutsame Aneignung fremder Musikkulturen ging (vgl. taz v. 30.3.). 5 Minuten vor dem Ende der Gong-Klopperei begannen der mexikanische Komponist Julio Estrada und sein marokkanischer Kollege Ahmed Essyad, demonstrativ den Saal auszufegen. Nach dem höflich plätschernden Applaus (vor allem für den Schlagzeuger, Mircea Ardeleanu), der durch kräftige Buhs angereichert wurde, traten die beiden vor das Publikum.

Estrada: „Dieses Stück ist keine Musik, das ist Scharlatanerie, Monsieur Ridiculesu!“ Radulescu — ebenfalls anwesend, ließ der Übersetzerin keine Chance. Wortgewaltig bemühte er gleich den ganzen Kosmos, der in seiner Musik enthalten sei, aber das könnten „diese lateinamerikanischen Dilettanten“ nicht verstehen, die seien ja noch 30 Jahre zurück. Im Publikum debattierten die Toleranz-Verfechter mit den radikalen Radulescu-Gegnern. Die Komponisten hatten sich warmgeschrien: „Merde“, „Arschloch“, „Faschist“, „Ceaucescu“. Wenigstens ein Grund, sich das Stück zu merken. Wilfried Wiemer