QUERSPALTE
: Hauptstadt-Hysteriker

■ Die Wiederkehr des Immergleichen in der Hauptstadtdebatte

Haben wir nicht in den letzten Wochen, im diffusen Grau des eintönigen Berliner Winters etwas schmerzlich vermißt — vermißt vielleicht, ohne daß es uns so richtig ins metropolitane Bewußtsein drang? Seit dem Wochenende ist das zum Glück anders: Richtig, es gibt ihn noch, den erbitterten Kleinkrieg zwischen der Noch-Hauptstadt am Rhein und der Hauptstadt im Wartestand an der Spree. Nicht daß das gewichtige Thema seit dem »historischen« Beschluß des vergangenen Junis in Vergessenheit geraten wäre, denn schließlich wird seitdem zwischen Bonn und Berlin um jede Kleinigkeit gefeilscht, und die Medien stürzen sich jedesmal aufs neue dankbar auf das Thema. Durch die Dauerberieselung auf gleichbleibend hohem Niveau hat sich jedoch eine gewisse Abstumpfung breitgemacht, die, so verlangen es die eingefahrenen Rituale der Politikinszenierung, ab und an durchbrochen werden muß.

Einen Umzug von Regierung und Parlament erst im nächsten Jahrtausend forderten namhafte Bonner Politiker, und, Verrat, Verrat, selbst der Retter der Hauptstadt Berlin, Wolfgang Schäuble, ist auf die Seite der Verzögerer gewechselt. Als »neues« Argument fiel den Bonnern ein, daß der Umzug vermutlich recht viel Geld kostet, das man vorerst für andere teure Dinge, die die deutsche Einheit mit sich bringe, brauche. Diese Erkenntnis ist ungefähr so überraschend wie die, daß mit der Umstellung auf Sommerzeit es noch längst nicht Sommer wird. Nichtsdestotrotz reagieren die Berliner zuverlässig nach dem bewährten Reiz-Reaktions-Schema: Ein Aufschrei der Empörung gellt durch die Stadt, der vermutlich spätestens an der Elbe im luftleeren Raum verhallt. Denn die »Stunde der Wahrheit«, die für den Regierenden in Berlin schlägt, sieht in Bonn ganz anders aus. Und so wird es bleiben, bis der letzte Beamte und Abgeordnete widerwillig nach Berlin gezogen ist. Bis dahin wird in der Hauptstadt-Debatte die Wiederkehr des Immergleichen inszeniert werden, hysterisch, erbittert und kleinteilig — und das auf zwei Bühnen. Kordula Doerfler