Musteropposition im afrikanischen Musterland

Die Elfenbeinküste steckt ihre parlamentarische Opposition ins Gefängnis — doch zwei Jahre Demokratisierung haben die politische Kultur verändert  ■ Von Friederike Pentzlin

In den französischsprachigen Staaten Afrikas gehört der Demokratisierungsprozeß zum Alltag: Seit Mai 1990 gibt es in der Elfenbeinküste Oppositionsparteien, freie Gewerkschaften und eine freie Presse. Die euphorischen Zeiten von „Paristroika“ sind jedoch Vergangenheit. Es hat sich gezeigt, daß ein Mehrparteiensystem, an dessen Einführung vor zwei Jahren die nördliche Kredit- und Entwicklungshilfevergabe geknüpft wurde, noch lange nicht Demokratie bedeutet. Enttäuschung und Lähmung prägen seit dem „schwarzen Dienstag“ vom 18.Februar das Leben in dem westafrikanischen Staat.

Fußballfieber

„Ein Jahr Mehrparteiensystem und schon afrikanischer Fußballmeister“, gab die oppositionelle Zeitung 'La Voie‘ noch Ende Januar mit einer Schlagzeile an. Daß die „Elefanten“ der Côte d'Ivoire nach 24 Jahren zum ersten Mal den heißersehnten Afrika-Pokal erkickten, suchte auch der greise Präsident Houphouet-Boignet für sich zu nutzen: Selbstherrlich rief er zwei Nationalfeiertage aus, um nach deren Ablauf seinem vermeintlich fußballfiebernden Volk ein anderes langerwartetes Ereignis, das Ergebnis einer Untersuchungskommission, zu präsentieren.

Nach Studentendemonstrationen hatte im Mai 1991 das Militär auf dem Universitätsgelände von Youpogon, einem der bevölkerungsreichsten Stadtteile der Hauptstadt Abidjan, übel gewütet. Die Opposition sprach damals von mehreren Toten — ein Skandal für die IvorerInnen, die dank der von Houphouet seit dreißig Jahren praktizierten politischen Kultur von „Dialog“, Kooptation und Geldgeschenken, in der Gewalt traditionell kein Mittel der Politik ist, für ihren zivilen Charakter bekannt sind. Eine Untersuchungskommission, obwohl zu 90 Prozent mit Houphouet-Getreuen besetzt, kam einstimmig zu dem Ergebnis, daß in der fraglichen Mainacht Studenten gefoltert und Studentinnen vor den Augen ihrer Kommilitonen vergewaltigt worden waren. Der Bericht schloß mit der Empfehlung ab, fünf Verantwortliche, darunter den Armeechef, zu bestrafen.

Die Elfenbeinküste bestand diesen Demokratietest nicht. Alt, aber ungebrochen autoritär nuschelte der Landesvater sichtlich verärgert in die Kameras: „Ich dulde keine Spaltung der Armee. Sanktionen wird es nicht geben.“ Nach zwei Jahren Demokratiewehen stieß diese Rede auf Unverständnis — sogar bis in Kreise der Armee selbst, die über einen für Westafrika ungewöhnlich hohen Bildungsgrad verfügt.

Die Opposition fühlte sich stark genug für eine Kraftprobe. Laurent Gbagbo (47), Vorsitzender der bedeutendsten parlamentarischen Oppositionspartei „Ivorische Volksfront“ (FPI), stellte der Regierung ein Ultimatum: „Sanktionen, oder es wird keinen sozialen Frieden mehr für die Côte d'Ivoire geben.“

Die Opposition hat dieses Kräftemessen vorläufig verloren. Nach gewalttätigen Ausschreitungen während einer Demonstration der Opposition, die wahrscheinlich von Regierungsanhängern provoziert waren, wurden am 18. Februar 300 Oppositionelle inhaftiert. Zwanzig der wichtigsten Köpfe sind inzwischen abgeurteilt, in windigen Verfahren, nach windigen Anklagepunkten, darunter Gbagbo und seine Frau Simone, der Vorsitzende der Ivorischen Liga für Menschenrechte Réne Dégni-Ségui und der Studentenführer Martial Ahipeau. Die pluralistische Schminke, angelegt für nördliche Geldgeber, ist abgewischt.

Zwei Jahre, die insbesondere von der FPI geschickt zur Aufklärung, politischen Erziehung und vor allem zum Aufbau eines landesweiten Netzes von Parteizellen genutzt wurden, lassen sich jedoch nicht ungeschehen machen. Das „Wirtschaftswunderland“ der 60er und 70er Jahre, das „schwarze Japan“ und „Musterland“ Elfenbeinküste wird heute, nach zehn Jahren katastrophalen Preisverfalls der Hauptexportprodukte Kakao und Kaffee und mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung Afrikas, nur noch als Modell für die Abwicklung von Programmen des Internationalen Währungsfonds gelobt. Es hat aber auch eine „Musteropposition“ hervorgebracht.

„Schwarzes Japan“

Denn einzigartig für das frankophone Afrika scheint hier die Oppositionsbewegung aus dem begrenzten städtischen Protest- und Debatten-Milieu auf das Land getragen zu sein. Durch kluges politisches Agieren und viel Arbeit ist der FPI das Wunder gelungen, die mit der Krise in ganz Afrika verbreitete „diffuse Protesthaltung“ zu bündeln und die ivorischen Besonderheiten politisch für sich nutzen zu können.

Im „schwarzen Japan“ der 60er und 70er Jahre hatten es außer den Franzosen auch andere zu Reichtum gebracht: unzählige Staatsbeamte und Pflanzer in bescheidener Weise, Houphouet und seine 200 „Barone“— alte Freunde, die treffender als skrupellose Wirtschaftskriminelle zu charakterisieren sind — eher obszön. Sie alle haben ihr Geld den Erlösen aus Kakao-, Kaffee- oder Holzexport und somit den hart arbeitenden LandarbeiterInnen abgezwackt, nicht zuletzt dank der Billigarbeitskraft von Millionen von Gastarbeitern — heute werden sie auf fünf von 12 Millionen Einwohnern geschätzt. Doch immer wurde darauf geachtet, daß sich das Arbeiten auch für die Landbevölkerung selbst lohnt: In der Elfenbeinküste gelang der Balanceakt, die Gans, die goldene Eier legte, auszuquetschen, ohne sie dabei umzubringen.

Über die Jahrzehnte hinweg überzog der Staat das ländliche Gebiet mit einem komplexen Netz von Beratungs- und Aufkauforganisationen, das auch funktionierte. So konnten sich Qualitäten von Arbeitsethos und Verantwortungsgefühl entwickeln, die Fähigkeit, Abläufe zu organisieren und die Bereitschaft, Geplantes auch durchzusetzen: ein „Humankapital“, das nun die FPI für sich zu nutzen weiß. Systematisch werden in den Fachgruppen der Opposition Situationen durchgespielt, Strategien erarbeitet und vor allem auch umgesetzt. Der Landbevölkerung wird durch politische Erziehung der bedingungslose Respekt vor Autoritäten genommen und Kritik- und Analysefähigkeit vermittelt, die sich gern gegen die FPI selbst wenden soll, sollte sie 1995 die Wahlen gewinnen.

Die Krise, die den Menschen auf dem Land das Wasser bis zur Gurgel stehen läßt, erleichtert den FPI- Mitgliedern ihre Aufklärungsarbeit erheblich. Kritische Reflexionszirkel versucht die FPI überall aufzubauen: in den Dörfern, in der Verwaltung, im Militärapparat. Die Partei denkt langfristig. Daß Houphouet davor irgendwann mal Angst bekommen werde und Oppositionsführer ins Gefängnis wandern könnten, ist in ihrer Strategie von vornherein mitgedacht worden.

Düpiert sind eher die Franzosen und der IWF, die sich ja so besorgt um die „Demokratie“ in Afrika zeigen. Weder haben sie vor zwei Jahren die Wut der städtischen Mittelklassen und die Kraft ihres Protestes vorausgesehen noch heute den Einfallsreichtum ihrer ehemaligen Schützlinge, die es sich unter dem Feigenblatt des Mehrparteiensystems schnell hübsch und restaurativ eingerichtet haben.