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Ägyptens Feldzug gegen die „grüne Gefahr“

Ein weitverzweigtes Netz islamistischer Organisationen und Firmen gilt für das offizielle Ägypten als Nährboden des Terrorismus  ■ Aus Kairo Ivesa Lübben

Ahmad Ala Ad-Din war Polizist und vorbildlicher Familienvater. Ein regelmäßig betender Moslem, ein umsichtiger Staatshüter, der Gewalt im Umgang mit dem politischen Gegner ablehnte — kurz: ein Inbegriff des guten, des sauberen Ägyptens.

Anfang März wurde Ahmad Ala Ad-Din in Fayum von Anhängern einer islamischen Splittergruppe auf offener Straße getötet. Der Mord sei nicht nur gegen die Person des Polizeioffiziers gerichtet, erklärte der ägyptische Innenminister Abdal Halim Mussa vor Journalisten — er sei Teil einer internationalen Verschwörung zum Sturz der Regierung. Eine Woche später wurde in Damiette, im Nildelta, ein Polizist mit Messern erstochen. Und in Sanbo in der Nähe der oberägyptischen Stadt Assiut kamen bei einer Straßenschlacht zwischen Christen und der islamischen Untergrundgruppe Dschihad drei Menschen ums Leben.

Von der Welt vergessen

Was sind die Gründe für die zunehmende Gewalt? Eine „internationale Verschwörung“, wie der Innenminister erklärt, oder Armut, Elend, Jugendarbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit, wie die meisten Journalisten meinen, die im Fayum den Spuren des Verbrechens nachgegangen sind? Die mutmaßlichen Mörder Ahmad Ala Ad-Dins stammen aus dem Dorf Kahk, im Nordwesen der Fayum-Oase an den Ufern des Qarun- Sees gelegen, und gehören einer islamischen Untergrundgruppe mit dem Namen „Takfir Al-Kafer“ an. Kahk und die anderen Dörfer am Qarun- See scheinen von der Welt und der Zentralregierung vergessen. Es gibt keinen Arzt, sogar der Bürgermeister lebt woanders. Nur ein Zehntel der Kinder besucht die Grundschule des Ortes. Für eine weiterführende Schule in der Provinzstadt Ibschawai kann kaum eine Familie das Fahrgeld aufbringen. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt 90 ägyptische Pfund, umgerechnet 45 DM.

Die meisten Jugendlichen sind arbeitslos. Ihr einziges Freizeitvergnügen ist der Gang in die Moschee, wo kleine Jungen schon mit sieben Jahren den Koran auswendig lernen— angeleitet von Dorfscheichs, die genausoviel von islamischer Theologie wie die Bauern des Ortes vom Lesen und Schreiben verstehen.

Früher lebten die 25.000 Einwohner von Kahk vom Fischfang und von der Landwirtschaft. Aber seit in den letzten Jahren der Wasserspiegel des Sees zu sinken begann, gingen die Fangerträge um zwei Drittel zurück, die Felder an den Ufern des Sees begannen zu versalzen — ein ideales soziales Klima für lokale Mafias, politischen Extremismus und islamische Robin Hoods, wie sich die „Takfir“- Gruppe wohl am ehesten beschreiben ließe.

Blinder Krieger

Anfang der 80er Jahre predigte ein blinder, alter Scheich mit dem Namen Omar Abdel Rahman in den Moscheen Fayums. Abdel-Rahman galt als geistiges Oberhaupt der militanten „Dschihad Islami“, die 1981 den ägyptischen Präsidenten Sadat ermordete. Es war Abdel Rahman, der den Sadat-Mördern Gottes Segen gegeben und ihnen einen Platz im Paradies versprochen hatte.

Viele Jugendliche aus dem Fayum schlossen sich ihm an. Einer von ihnen war Schauqi Scheich, ein Bewässerungsingenieur aus Kahk. Da ihm sein Lehrer bald nicht mehr radikal genug schien, gründete er 1988 seine eigene Gruppe, die „Schauqiin“. Als Schauqi und siebzehn seiner Anhänger bei einem Feuergefecht mit der Polizei ums Leben kamen, ging daraus die „Takfir“-Gruppe hervor.

Schauqi und seine Nachfolger erklärten ihre rudimentären Islam- Vorstellungen in den Dörfern um den Qarun-See zum Gesetz. Die Frauen mußten ihr Gesicht hinter einem Schleier verstecken, die Männer mußten sich lange Bärte wachsen lassen, und Rauchen war verboten. Jeder, der sich nicht der Gruppe unterwarf, galt als ungläubig; und gegen Ungläubige war jedes Mittel legitim. Mit diesem Rechtsverständnis ließen sie politische Gegner hinrichten — allein fünfzehn im letzten Jahr —, überfielen Kirchen und raubten reiche Läden aus, vorzugsweise christliche Goldschmieden. Die Beute verteilten sie unter den Fischern und Bauern, die der See nicht mehr ernähren konnte.

Immer wieder wurde Kahk bei Verfolgungsjagden der Polizei überfallen, unter Ausgangssperre gestellt, Häuser wurden in die Luft gesprengt und Verwandte von „Takfir“-Mitgliedern verhaftet, in der Hoffnung, daß sich die Gesuchten dann freiwillig stellen würden. Aber die Dorfbewohner schwiegen.

Hefe des „Extremismus“

Wenn die innere Sicherheit Ägyptens vor allem von radikalen Islamisten gefährdet sein mag, sieht sich das Regime politisch aus einer anderen Ecke bedroht: von der eher gemäßigten islamischen Opposition, vertreten vor allem durch die Muslimbrüder. Politische Beobachter meinen, daß die Muslimbrüder, denen bis heute die Zulassung als Partei verweigert wird, gute Chancen hätten, aus wirklich demokratischen Wahlen als stärkste Kraft hervorzugehen. Wohl deshalb setzt das äygptische Regime die Ereignisse im Fayum als Vorwand für ein härteres Vorgehen gegen die Bruderschaft ein, obwohl diese selber immer wieder Zielscheibe der radikalen Islamisten war. „Ihre Ideen sind die Hefe, auf der der Extremismus gewachsen ist“, sagt Innenminister Mussa.

Ob aus taktischer Überlegung, wie ihre Gegner es ihnen vorwerfen, oder aus Überzeugung — die Muslimbrüder stehen heute an vorderster Front bei der Forderung nach Ausweitung demokratischer Rechte und Aufhebung des Ausnahmezustandes, der in Ägypten seit der Ermordung Sadats 1981 gilt. Und um Argumenten den Boden zu entziehen, daß ihr islamisches Programm gegen die christlichen Minderheiten Ägyptens gerichtet sei, haben sie ihrerseits einen Dialog mit führenden koptischen Intellektuellen aufgenommen.

Islamische Software

Trotzdem findet das Innenministerium immer neue Verbindungslinien, die die Muslimbrüder mit den Gewaltakten in Verbindung bringen soll. Die neueste heißt „Salsabil“, ein High-Tech-Unternehmen, das den britischen Technologiekonzern IMT sowie japanische und holländische Computerfirmen auf dem ägyptischen Markt vertritt. Es avancierte in kurzer Zeit zum größten Softwareproduzenten Ägyptens mit arabischen Lernprogrammen, Verwaltungsorganisationen und einer umfassenden sozialwissenschaftlichen Datenbank, die von vielen wissenschaftlichen Institutionen abgerufen werden kann. Das einzige Manko von Salsabil: Seine Gründer und Manager stammen aus den Reihen der Muslimbrüder. Sind möglicherweise, so fragen offizielle Stellen, auch die Terrorakte in den letzten Wochen Teil eines wissenschaftlich per Computer ausgearbeiteten Plans zur Untergrabung der inneren Sicherheit? Anfang Februar wurde Salsabil geschlossen, die drei Direktoren verhaftet. Salsabil sei das Zentrum einer Geheimorganisation mit Verbindungen von Afghanistan bis nach Europa, erklärte der Staat; hohe Geistliche, Politiker, Führer von Berufsverbänden und Universitätsprofessoren seien in die Affäre verwickelt, die Organisation sammele heimlich Informationen über die innere Stabilität des äygptischen Regimes. Vor „Sozialspionage“ warnt in diesem Zusammenhang der Vorsitzende des Staatssicherheitsgerichts, Said Aschmawi, die heute weit gefährlicher sei als Militär- und Wirtschaftsspionage, weil sie das Land von innen zersetze.

Muhammed Akif, Führungsmitglied der Muslimbrüder und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, leugnet die Verbindung seiner Organisation zu Salsabil nicht, betont aber, daß sich Salsabil streng im Rahmen der Gesetze bewegt hätte. Natürlich hätten die Muslimbrüder über Salsabil ihre innere Organisation geführt, aber jedes kleine Miniunternehmen würde heute per Computer verwaltet. Natürlich hätten sie über Salsabil internationale Beziehungen gehalten— aber Friseure, Parlamentarier, christliche Gemeinden, alle hätten ihre internationalen Organisationen. Er hält die Schließung Salsabils für einen Teil eines US-amerikanischen Plans gegen die ägyptische Nationalökonomie, um jedes unabhängige Projekt, vor allem im Technologiebereich, im Keim zu ersticken.

Und die islamische Oppositionszeitung 'Al-Schaab‘ weist darauf hin, daß die Schließung Salsabils zeitlich mit der Rundreise von CIA- Chef Gates im Nahen Osten zusammenfiel. Eines der Anliegen von Gates sei nach dem Schock von Algerien gewesen, mit den befreundeten arabischen Regierungen das Vorgehen gegen die „islamische Gefahr“ zu koordinieren.

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