KOMMENTARE: Ein Anfang
■ Hartes Urteil im Göttinger Kinderpornographie-Prozeß
Sechs Jahre Haft für drei Angeklagte im Göttinger Kinderporno-Prozeß — ein außergewöhnlich hartes, aber ein gerechtfertigtes Urteil. Hart aber nur, wenn es neben vergleichbare Urteilssprüche gestellt wird. Denn der Strafrahmen erlaubt beim §176 — dem sexuellen Mißbrauch — durchaus auch 10 Jahre Haft. Dennoch sind 6 Jahre für Niedersachsen ein wohl noch nie dagewesenes Strafmaß. Wie kommt es zu solch einem Urteilsspruch? Wird nun endlich auch den Richtern bewußt, daß sexuelle Gewalt letztlich Mord an der Seele einer Frau ist? Daß Mädchen ihr Leben lang mit den Auswirkungen dieser sexuellen Gewalt leben müssen? Aber ganz so rosig steht es um den Bewußtseinszustand unserer Justiz nun doch nicht.
Erst in der letzten Woche sagte die Bundesregierung — allen voran Justizminister Kinkel — mit einem Gesetzentwurf der Kinderpornographie den Kampf an. Verschärfte Strafen und die Ankündigung, auch den Besitz von Kinderpornographie unter Strafe zu stellen, beeindruckten sicherlich auch die Richter in Göttingen. Erstaunlich, wie schnell sich die Politik in härteren Urteilen widerspiegelt.
Doch wie ist das große Interesse der Politik am sensationsheischenden Thema Kinderpornographie zu verstehen? Nur massiver öffentlicher Druck kann die Herren in Bonn nach zwanzigjähriger Untätigkeit dazu angeregt haben, endlich initiativ zu werden. Der Göttinger Prozeß fand allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Nicht zum Schutze der Opfer — die beiden Mädchen wurden aufgrund des reichhaltigen und aufschlußreichen Pornofilmmaterials gar nicht in die Mangel genommen. Ein Glück, denn in der Regel kommt die Gerichtsverhandlung für die Opfer sexueller Gewalt einer zweiten Vergewaltigung gleich. Nein — den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragten zu Prozeßbeginn die Verteidiger der Angeklagten. Sicherlich mußte die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, solange es um die Betrachtung pornographischen Beweismaterials, sprich: der Hardcorefilme ging. Doch warum ist die Öffentlichkeit nicht zugegen, wenn es um die Aussagen der Angeklagten geht? Wie rechtfertigen Eltern es, wenn sie ihre Töchter vor der Kamera in schwerster Weise sexuell mißbrauchen? Wie begründen sie es, wenn sie ihre Kinder gegen Cash an geile Päderasten vermieten?
Solange die Politik sich dieses Problem nicht wirklich zu eigen macht, ist ein Prozeß wie der Göttinger die einzige Möglichkeit, die TäterInnen zur Rede zu stellen. Karin Flothmann
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