Wie der 'Spiegel‘ im trüben fischt

■ Der Journalist Bernd Michels verklagt das Hamburger Magazin wegen der Behauptung, er habe für 'Konkret‘ Stasi-Gelder aus der DDR geholt/ 'Spiegel‘-Anwälte wollen mit juristischen Winkelzügen verhindern, die Falschmeldung korrigieren zu müssen

Berlin (taz) — Fehler einzugestehen fällt naturgemäß nicht leicht. Besonders ungern leistet Selbstkritik, wer sich in der Pose des allwissenden Enthüllers gefällt, der die Menschheit — hart, aber gerecht — in Gute und Böse scheidet. Wer sich wie die Herren „des deutschen Nachrichtenmagazins“ das Image der Vierten Gewalt der Nation erarbeitet hat, muß nichts mehr fürchten, als der unsauberen oder unredlichen Recherche überführt zu werden.

Während sich auch in der Redaktion des 'Spiegel‘ nach dessen Stasi- Enthüllungen der letzten Monate Widerstand dagegen formiert, sind die Rechtsabteilung und die Anwälte damit beschäftigt, eine zumindest sehr peinliche Fehlleistung des Hauses der eigenen Leserschaft vorzuenthalten.

Unter der Überschrift „Prinzip der Zeitbombe“ berichtet Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin am 2. Dezember 1991 ausführlich über die Jahrzehnte währenden Aktivitäten des von Markus Wolf aufgebauten Auslandsgeheimdienstes „HVA“, der die Strategie der Desinformation von den „Freunden“, dem sowjetischen KGB, nicht nur übernommen, sondern auch verfeinert hatte. Die Empfänger der kompromittierenden Materialien waren nach Angaben des Magazins unter anderem der 'Stern‘, die 'Süddeutsche Zeitung‘, die 'Frankfurter Rundschau‘ — auch 'Der Spiegel‘, wie selbstkritisch eingeräumt wurde.

Besonders eng und fruchtbar sei die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Linksblatt 'Konkret‘ gediehen, „das laut Stasi lange Zeit mit Material und Texten bedacht wurde“. Außer Schriftlichem sei 'Konkret‘-Herausgeber Klaus Rainer Röhl aber auch Bares aus dem Osten zugegangen. Augsteins Blatt: „Der Mitte November unter Spionageverdacht verhaftete NDR- Fernsehredakteur Bernd Michels, 45, hat nach eigenem Bekunden um 1970 herum, während seiner Tätigkeit bei 'Konkret‘, schon mal den Geldtransfer besorgt; bisweilen habe er sich auf die Reise machen müssen, um Bares per Koffer abzuholen.“

„Der Spiegel bleibt bei seiner Darstellung“

Der so Beschuldigte bestreitet dies indes. In der ersten 'Spiegel‘-Ausgabe des Jahres 1992 setzte Michels eine Gegendarstellung durch, in der er erklärte: „Weder habe ich jemals Geld von der Stasi oder einer anderen Stelle der DDR zu 'Konkret‘ gebracht, noch habe ich das jemals irgendwo bekundet.“ Die Hamburger Redaktion versah die Gegendarstellung mit der Bemerkung: „Der 'Spiegel‘ bleibt bei seiner Darstellung.“ Eine von Michels geforderte Unterlassungserklärung wird seither verweigert — die Auseinandersetzung beschäftigt nun die Rechtsanwälte und, mit einem vorläufigen Streitwert von 30.000 Mark, die 24. Zivilkammer beim Hamburger Landgericht. In einem Klageerwiderungsschreiben an das Hamburger Gericht beantragten die vom 'Spiegel‘ bestellten Anwälte, Michels Klage abzuweisen.

Die angegriffene Berichterstattung, so die Begründung, entspreche den Tatsachen und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Bernd Michels habe dem 'Spiegel‘-Mitarbeiter Werner Dähnhardt gegenüber „sehr wohl bekundet, für die Zeitschrift 'Konkret‘ zu der Zeit, als Herr Röhl ihr Verleger war, Geld aus der ehemaligen DDR zu 'Konkret‘ transportiert zu haben“. In seiner Funktion als Medienberichterstatter habe Dähnhardt 1973 Bernd Michels im Rahmen seiner Berichterstattung über die heftigen Querelen bei 'Konkret‘ um deren Verleger Röhl kennengelernt. 1977, Michels wurde zwischenzeitlich Pressesprecher bei der schleswig-holsteinischen SPD, seien sie anläßlich eines Interviews mit dem SPD-Landeschef Jansen wieder zusammengetroffen. Im Anschluß, bei einem kurzem Spaziergang, sei man wieder auf die seinerzeitigen spektakulären Vorgänge bei 'Konkret‘ zu sprechen gekommen — Michels habe erklärt, „auch er habe früher gelegentlich Koffer mit Geld für Herrn Röhl aus der DDR geholt“. Dähnhardt hätte zum damaligen Zeitpunkt aber darauf verzichtet, diese Information zu veröffentlichen, „weil er sie in einem vertraulichen Gespräch erhalten hat“.

Mittlerweile hätten sich „indes die Umstände derart geändert, insbesondere auch durch die Verhaftung des Klägers [Michels, d. Red.], daß Herr Dähnhardt seine ursprüngliche Zurückhaltung nicht länger für angebracht hielt“.

Augsteins öffentliches Bekenntnis bei seiner Vernehmung vor dem 'Spiegel‘-Ausschuß am 25. Oktober 1950 — „Ich bin nicht in der Lage, Dinge, die mir vertraulich mitgeteilt worden sind, irgend jemandem zu sagen“ — habe für die 'Spiegel‘-Redakteure heute offensichtlich keine Verbindlichkeit mehr, rügten daraufhin Michels Anwälte.

Röhl: Michels kommt als Geldbote nicht in Frage

Gravierender noch als der Bruch der vom 'Spiegel‘ selbst behaupteten Vertraulichkeit sind nach Ansicht der Anwälte Michels aber die schlicht wahrheitswidrigen Behauptungen der 'Spiegel‘-Redakteure. Ein Gespräch mit dem früheren 'Konkret‘-Herausgeber Röhl habe ergeben, daß die 'Spiegel‘-Mitarbeiter selbst bei ihm in Sachen Michels recherchiert hätten. Röhl habe erklärt, Michels komme als Geldbote schon deshalb gar nicht in Frage, weil er erst zu einer Zeit zu 'Konkret‘ gekommen sei, „als es mit der Kommunistischen Partei schon längst — im Jahre 1965 — zum Bruch gekommen und 'Konkret‘ von der Kommunistischen Partei nicht mehr unterstützt“ worden sei. Röhls Aussage wurde unterschlagen.

Im Fall Michels ist selbst das kleine Einmaleins von den Hamburger Nachrichtenprofis sträflich vernachlässigt worden. Dessen Anwälte rechneten in einem Schreiben vom 10. Februar dem Gericht vor: „Die Beklagte [Spiegel, d. Red.] bezeichnet den Kläger [Michels, d. Red.] in ihrer Denunziationsgeschichte als 45 Jahre alt. Rechnet man dieses Lebensalter auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Geldzuschüsse an 'Konkret‘ aufgehört haben: 1964, so stellt man fest, daß der Kläger damals ganze 17 Jahre alt war“ und „damit ganz schön frühreif für Kommunistengeld“.

Derlei Widersprüche versuchen die Anwälte des 'Spiegel‘-Verlages mit abenteuerlichen Argumentationsketten auszuräumen. In einem Schriftsatz teilen die Prozeßbevollmächtigten mit, eine Unterlassungsverpflichtung bestehe nur dann, „wenn die aufgestellte Tatsachenbehauptung unwahr ist“. Die beanstandete Behauptung erschöpfe sich aber darin, „der Kläger selbst habe bekundet, als Geldbote für 'Konkret‘ fungiert zu haben“.

Gedanklicher Höhepunkt: „Ob hingegen das, was der Kläger gesagt hat, inhaltlich zutrifft, ist bedeutungslos.“ Es treffe zwar zu, daß Michel nach den Angaben Röhls als Geldbote gar nicht in Frage komme, nur sei dies gar nicht behauptet worden. Der 'Spiegel‘ habe nur geschrieben, daß Michels „nach eigenem Bekunden“ entsprechend tätig geworden sein will. Das wird zwar nach wie vor von Michels bestritten— nun soll aber ein weiterer Zeuge die 'Spiegel‘-Version stützen helfen.

Nachdem der frühere 'Spiegel‘- Kolumnist und 'Konkret‘-Mitarbeiter Otto Köhler am 12. Februar die reichlich merkwürdigen Vorgänge im Kritischen Tagebuch des WDR bekannt machte, will sich plötzlich auch der 'Spiegel‘-Redakteur Manfred Ertl erinnern, von Michels selbst über seine Botentätigkeit erfahren zu haben. Ertl, so die 'Spiegel‘-Anwälte, halte es „für überwiegend wahrscheinlich, wenn auch nicht für absolut sicher, daß der Kläger sich in diesem Sinne ihm gegenüber anläßlich eines Aufenthaltes bei einem gemeinsamen Freund über Sylvester 1990/91 geäußert hat“. Dem gegenüber steht allerdings die Aussage Michels, wonach er am Tag der 'Spiegel‘-Veröffentlichung mit seinem Bekannten Ertl telefoniert hatte. Ertl habe ihm versichert: „Mit dieser Geschichte habe ich absolut nichts zu tun, ich weiß auch nicht, wie das ins Blatt kam.“

Vollends verworren sind die Angaben der 'Spiegel‘-Mitarbeiter auf den Rundfunkbeitrag Otto Köhlers („eine Warnung für jeden, der dem 'Spiegel‘ Informationen gibt“): 'Spiegel‘-Redakteur Werner Dähnhardt, Kronzeuge der Verlagsanwälte, erklärte dem Branchendienst 'text intern‘: „Die 'Spiegel‘-Darstellung über Bernd Michels habe ich seinerzeit nicht veranlaßt, nicht verfaßt und erst nach Erscheinen der betreffenden Ausgabe gelesen.“

Chefredakteur Hans Werner Kilz assistierte an gleicher Stelle: „Dähnhardt hat mit dem Aufsatz gar nichts zu tun. Er hat weder eine Vertraulichkeit gebrochen, noch hat er irgend etwas zu verantworten.“ Kilz erneuerte das Credo Augstein: „Wir sägen doch nicht den Ast ab, auf dem wir sitzen, indem wir die Vertraulichkeit verletzen.“

Nach dieser Ehrenerklärung für Dähnhardt wartet nicht nur Michels auf die Enthüllung, auf welch wundersame Weise die umstrittene Passage ins Blatt kam. Eines ist wohl sicher: Der 'Spiegel‘ wird alles tun, daß sich des Rätsels Lösung nicht im 'Spiegel‘ finden wird. Wolfgang Gast