Zweitausend auf Opa!

■ Leichenwäscherin Theresia Sch. gesteht: schwere kultische Verirrungen bei bremischen Bestattungsinstituten / Videos als Beweis

Wir mochten es nicht glauben. Dann spielte uns Theresia Sch. mehrere Videobänder vor, die sie, wie sie sagte, unter großer Gefahr an sich gebracht hatte. Während der Vorführung wurden wir immer wieder, obwohl uns nicht eben danach zumute war, von ihrem Lachen angesteckt. Plötzlich aber schwammen ihre Augen in Tränen, und schluchzend rief sie: „Das muß endlich enthüllt werden. Ich bin jetzt 79 und will nicht als Lachnudel vor meinen Heiland müssen!“

Die Bänder liegen bei unserem Anwalt in Verwahrung. Eine Kopie haben wir der „Monitor“-Redaktion zugesandt.

taz: Wie lange üben Sie das Amt der Leichenwäscherin schon aus?

Theresia Sch.: Seit vierzig Jahren (schluchzt)

Das ist doch kein Grund zum Weinen.

Aber das geht jetzt schon so lang!

Was?

Na, diese...(schluchzt) ...entschuldigen Sie bitte.

Beruhigen Sie sich. Wann fing es an?

Vor...vor...wissen Sie, man muß gar nicht lang mit Leichen Umgang haben, um...

...sie zu waschen?

...um ihre Besonderheiten schätzen zu lernen. Sie sind so...aufmerksam. So ernst und willig bei allem. Sie lassen sich frisieren!

Zweifellos.

Und schön machen. Und verlieren niemals diese...Ruhe. Manche von ihnen bleiben länger, die reden wir mit Vornamen an. Und allmählich fangen sie dann, wenn wir ihnen was erzählen, auch an zu... antworten.

Ehrlich?

Naja, so scherzen wir untereinander. Wir sagen: Na, schau, wie Frieda brummt, das find't se auch. Das ist aber eher ein Rülpsen. Das kommt, weil die Luft im Magen gärt. Neulich Willi war so einer. Zu allem Ja und Amen, jedesmal wenn ich im Kühlraum seine Schublade rauszog, um ihn zu rasieren. Ja, Willi hatte noch tagelang starken Bartwuchs. Und die Nägel! Kaum zu bändigen.

Sie machen Ihre Schützlinge gerne schön?

Oja. Da schwärmen alle von. Was wir hier an Schminktöpfchen und Tiegelchen und Tinkturen haben! Wissen Sie, da könn'se ruhig ins Wasser gehn, wir pieksen die Luft raus und kriegen Sie wieder flott! Nur mal angenommen.

Ohne Hintergedanken.

Wenn Sie erst unsere Mannsbilder sehen würden! Wie die tuschen und tupfen und akkurat mit dem Hauthobel beigehen! Der Chef hockt oft bis morgensund ist noch immer nicht zufrieden.

Und ich dachte, da könnte man eh nix mehr machen.

Ha (lacht) — wenn Sie...wir hatten ja seit Jahren richtige...nein (schluchzt)

Aber Frau Sch., ich versichere Ihnen...

Wir haben (faßt sich) ...Schönheitswettbewerbe gemacht. Bremenweit. Den „Schwarzen Salon“, einen im Herbst, einen im Frühjahr. Den ersten damals hab ich gewonnen. Ach, wenn Sie wüßten, wie lang ich da an mei'm klein' Vikar hab schnipseln und tüpfeln müssen! Ich schwör ja auf Plastillin unter die Wangen, wegen die Pausbäckchen; dann farblosen Nagellack, daß die Zähne blitzen, und dann krichte er zwei Tage lang seine alte Scheckkarte quer in'n Mund, bis endlich das Lächeln hielt.

Und die Angehörigen? Haben die nicht gemeutert?

Die Mehrzahl hat's nie mitgekriegt. Die Abschminke hinterher, die gehörte ja dazu. Aber viele haben auch geradezu mit Leidenschaft mitgetan. Die durften mit Geldbeträgen ins Rennen gehen, das wurde dann für das Outfit ihrer Toten ausgegeben; die kamen ins Büro, hauten ein Bündel Scheine auf den Tisch und riefen: „Zweitausend auf Opa!“ Wir haben aber immer einen Teil abgezweigt für die Toten, die keine Sponsoren hatten.

Wie konnte das so lange verborgen bleiben?

Weil fast alle Institute mitgemacht haben: „Aeternitas“ war dabei und „GE·KRÖ·SE“...

Frau Sch.! Um Himmels willen keine Namen! Wir beide wollen auch noch unter die Erde.

O Heiland, ja.

Sie sollten jetzt vielleicht...Sie werden sich freier fühlen.

Ich weiß nicht. Wir haben...es fing an...wir haben Videos gedreht. Erst von unsern Wettbewerben. Daß wir was hatten für zuhause. Haben wir auch getauscht und so. Dann entdeckten wir, daß an schwülen Tagen...

Wieso an schwülen?

Wegen der Elektrizität in der Luft. An schwülen Tagen zuckten die immer ein bißchen. Harald der Elektriker sagte, das seien Kriechströme. Ja, die Nerven (schluchzt).

Sprechen Sie weiter, ich bitte Sie.

Ja. Wir dachten: Dann kriegen wir die locker in Gang. Es hat uns ja immer leid getan, daß wir sie erst aufdonnerten direkt für die Oper und hinterher doch wieder wegpacken mußten. So kamen wir drauf, richtige Filme mit ihnen zu drehen.

Richtige Filme?

Ja, mit Handlung. Nunja, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die kriegten ein Schaltkästchen umgehängt, Drähte dran mit Elektroden, dazu eine Autobatterie, und schon liefen die. Machte alles Harald. Ein alter Bastler.

Aber Leichen im Film? Die sind doch nicht gerade, wie sagt man, ausdrucksstark?

Muß man mit umgehn. Für Kurzfilme wie „Stehempfang“ hat's gereicht. Bißchen auf der Stelle treten, Augen rollen, Gläser schwenken. Sah irre aus. Unser Renner war „Die Vernissage“. Da konnten die echt ihr Talent ausspielen. Harald der Elektriker baute ihnen dafür Glasaugen mit Blinklicht ein, das sah vielleicht nach was aus!

Glasaugen? Fallen die nicht aus? Ich meine, wenn die Höhlen zu groß sind?

Wir nahmen Gelatine zum Auffüllen. Das hielt. Lang konnten wir eh nie drehen.

Sie haben uns aber auch Halbstundenfilme gezeigt.

Ja, das war schwer. Sie meinen „Riensberg — Reihe A 112“; das war eine richtige Familienserie, der „Lindenstraße“ nachempfunden. Die ging aber nach der 72. Folge ein, weil wir Probleme mit der Kühlung der Hauptdarsteller kriegten.

Daß die überhaupt begabt waren!

Erstaunlich. Die lebten da richtig auf. Einen Kerl hatten wir mal, den konnten wir für einen Disco- Clip sogar als Breakdancer verwenden. Nur machten das leider seine Batterien nicht mit.

War das Filmen nur Liebhaberei?

Nein, wo denken Sie hin! Allein für die „Reihe A 112“ hatten wir schließlich 3.500 Abonnenten allein in Bremen. Die meisten Institute haben im Keller kleine Vorführräume, da ist fast jeden Abend Betrieb. Die Leute biegen sich vor Lachen.

Wie erklären Sie sich den Underground-Erfolg?

Ich weiß nicht. Ich glaube, das zieht einen an, solche Stars. Das sind, sagt Harald, echte Stoiker. Keine Mätzchen, keine Schnörkel, nix haut sie um. Jedenfalls denken das die Leute. Die Wahrheit ist anders: Die fallen ja alle Nasenlang hin. Aber das schneiden wir raus.

Glauben Sie, daß Ihr Geständnis dem Treiben ein Ende macht?

Ehrlich gesagt, nein. Schauen Sie nur mal in die Abonnentenlisten...

?...!?

Na?

Ach du liebe Zeit!

Sehen Sie! Nix zu machen.

Fühlen wenigstens Sie sich jetzt ein bißchen besser?

Geht so. Fragen: Manfred Dworschak