Die Aura von Kunstwerken durch ihr Aroma ersetzen

■ Christian Rothmann und Thomas Schelper stellen in der Berliner Abgußsammlung aus

Die Nachbildungen antiker Skulpturen in der Berliner Abgußsammlung sind ein nüchternes, sprödes Anschauungsmaterial. An ihnen können sich traditionsbewußte Kunststudenten mit Zeichenblock und Rötelstift abarbeiten. Bereits 1696 dienten Abgüsse aus dem Altertum auf Veranlassung des Kurfürsten Friedrich III. von Preußen als Lehrmittel. Da den Reproduktionen aus Gips mit den (häufig über zweitausend Jahre alten) Originalen nur die äußere Form gemeinsam ist, bieten die Nachbildungen einen merkwürdigen Ersatz.

Es ist nicht der Versuch unternommen worden, die Skuplturen materialgetreu aus Marmor zu imitieren, der Fake ist offensichtlich: dem Gips fehlen die Transparenz, die farblichen Nuancen und die Kratzer der Jahrtausende. Christian Rothmann und Thomas Schelper haben ihre Arbeiten in den Ausstellungsräumen dieser Sammlung plaziert — als Reaktion auf die besondere Charakteristik des Ortes. Sie zerstören derart die Vorstellung von Kunstwerken, denen die Aura des Originals anhaftet.

Zum Beispiel durch den Doppelgänger-Effekt: Das aus Illustrierten bekannte Spiel Sind Sie ein scharfer Beobachter? Finden Sie die Unterschiede heraus! unterwandert Christian Rothmann mit seinem Objekt Zeitsprung. Zu sehen sind zwei Holzstücke sind. Das eine ist »echt«, das andere ist, nach Auskunft des Künstlers, eine bemalte Gipsimitation. Wer hofft, Abweichungen ausfindig zu machen, muß enttäuscht werden. Entgegen den Regeln des Zeitungsspiels, und anders, als es das Prinzip der Abgußsammlung vorgibt, läßt sich an dieser Kunst »Original und Fälschung« nicht dechiffrieren. Der Künstler betreibt eine »konzeptionelle Weiterarbeit am vorhandenen Material« betonte er 1990 anläßlich seiner Ausstellung in der Leipziger Galerie Eigen + Art — bis hin zur vorsätzlichen Irritation der Wahrnehmung.

Ein Mörser ist in zwölffacher Ausführung zentral und als Reihe im Raum plaziert. Gemäß dem Satz von Gertrude Stein Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose führt bei Rothmann die Wiederholung des Gegenstandes zu einer beabsichtigten Verunsicherung seiner Identität: Bestehen die Zerstampfgeräte aus Marmor, Gold und Granit, oder ist ihre materielle Beschaffenheit von einem perfekten Dekorationsmaler vorgetäuscht? Die materiellen Eigenschaften anderer Mörser aus Seife, Butter, Wachs oder Schokolade lassen sich nicht wahrnehmen, sondern nur riechen. Die Aura des Kunstwerkes ist durch dessen Aroma ersetzt.

Ein verblüffender Effekt: Man kann an den Objekten ablesen, wie eng die gewohnte Wahrnehmung Form, Funktion und materielle Beschaffenheit von Gegenständen zu einer Einheit verknüpft. Wird dieses System gestört und ist das, was man sieht, nicht das, was man sieht, scheinen die Konstitutionsbedingungen eines Kunstwerkes zu zersplittern. Das hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Künstlers: Thomas Schelper reagiert auf die Fundstücke der Antike mit einer subjektiven Spurensicherung. Seine Gipsabformungen von Straßenpflastern und Schienen sind als Negativ- und Positivform gestaltet. Ein Bild trägt den Titel Mittelpunkt von Berlin, ein anderes heißt Potsdamer Platz. Mit der Konfrontation von Bild und Kommentar formuliert Schelper, der auch als Gipskunstformer in den hiesigen Staatlichen Museen tätig ist, tiefsinnige Bedeutungssschwere und vordergründige Unmittelbarkeit: Abgüsse von den Sandstränden dieser Welt von Brasilien bis zur Ostsee simulieren Authentizität.

Die unterschiedlichen Arbeiten von Rothmann und Schelper untersuchen die Wirkungen von Objekten, die auf Imitationsformen zurückgreifen. Führt nach Walter Benjamin die technische Reproduzierbarkeit eines Kunstwerkes bereits zur Auflösung seiner Aura, so gehen einige in der Ausstellung gezeigte Arbeiten noch einen Schritt weiter. Wer die Kunstobjekte sehen will, sollte sich beeilen: Butter und Schokolade werden aufgrund der wohltemperierten Räume schmelzen. Herbert Jochmann

Abgußsammlung Antiker Plastik, Schloßstraße 69b, Westend, Fr.-So. 14-18 Uhr