INTERVIEW
: „Früher machte man alles mit Finesse, heute ist es derber Sex“

■ „Unsere Art, mit feiner Ironie zu malen, ist nicht mehr gefragt“: Gespräch mit der ehemaligen Spielkartendesignerin Donata Cardella aus Neapel

Donata Cardella, 81, hat zunächst zusammen mit ihrem Vater und nach dessen Tod in eigener Regie künstlerische Spielkartenvorlagen für den Druckereibetrieb ihrer Familie gefertigt. Die Firma ging Mitte der siebziger Jahre in einem Großverlag auf.

taz: Warum haben Sie aufgegeben? Ging das Geschäft nicht mehr?

Donata Cardella: Doch, Spielkarten gingen auch weiterhin und gehen auch heute noch — in letzter Zeit wieder besonders gut, seit das Fernsehen so schlecht ist. Aber unsere Art zu malen war nicht mehr so gefragt. Plötzlich wurde alles irgendwie obszön. Nackte Frauen oder verunstaltete Horrorfiguren mußten es sein. Selbst wenn man Politiker porträtieren wollte, mußten sie in der Verzerrung gemalt sein, wie der Auftraggeber es wollte. Ich hatte aber keine Lust, den Rest meines Lebens Brustwarzen, den Buckel von Andreotti oder gar Mafiosi zu zeichnen. Früher machte man alles mit Finesse, heute wird Sex oder Protz draus. Die sogenannte Modernisierung alter Karten trägt ebenfalls diese Züge: Auch wenn nun nicht unbedingt Nackedeis draufkommen, sind sie doch unpersönlich, austauschbar.

Wie sahen denn Ihre Spielkarten aus?

Wir haben — und das war Familientradition — mit dem Mittel der feinen Ironie gearbeitet. Bei uns wurden niemals diese schrecklich sterilen Gesichter oder die dämlichen Tierfiguren mit angeblicher Realitätstreue gemalt. Bei uns hatten die Mienen Ausdruckskraft, die sich oft auf den Rahmen bezog, in den wir sie stellten. Die Ironie brachten wir durch irgendwelche Unstimmigkeiten hinein: der König, der einfältig lächelt, während man im Hintergrund sieht, wie sich eine Revolution zusammenbraut, oder die Lady aus der feinen Gesellschaft mit einem Buch in der Hand, das auf dem Kopf steht.

Kamen auch Politiker vor?

Und ob. Mein Großvater war strammer Garibaldi-Anhänger, doch als er für das Hofgefolge des Reichseinigers ein Kartenspiel entwarf, bildete er Garibaldi, Mazzini, Cavour und die anderen Politiker zwar porträtgenau ab, gab ihnen aber nicht ihre eigenen Frauen zur Seite, sondern die Geliebten. Manche wurden erst durch solche Spiele öffentlich bekannt.

Wann war die Zeit für diese Spiele vorbei?

In der Zeit Mussolinis und seiner Faschisten erkannte ein Reichskulturminister plötzlich, daß wir bei bestimmten Kartenspielen, auf denen irgendwelche widerwärtigen Kerle abgebildet waren, die Gesichter von den Hofschranzen des Duce übernommen hatten. Einmal stellten wir neben eines dieser Monster das Lieblingsauto eines Bonzen mit dessen tatsächlicher Autonummer. Dafür mußte mein Vater ein halbes Jahr ins Gefängnis. Nach dem Krieg war es mit politischen Kartenspielen vorbei, weil die hartkantigen Politikergesichter der Partisanengeneration auszusterben begannen.

Auch kulturell ist die Zeit solcher Kartenspiele vorbei, weil die Jugend kaum mehr optische Signale entschlüsseln kann, wenn sie nicht von Diskotheken-Scheinwerfern oder aus dem Fernsehapparat kommen.

Also gibt es keine Zukunft, keine Freude an solchem Design?

Ich habe an einem ganz bestimmten Punkt aufgehört: Irgendwo hatte ich gelesen, daß mehr als zwanzig Prozent der italienischen Frauen gerne Karten spielen, sich das aber nicht öffentlich getrauen und daher heimlich zusammenkommen. Da kam mir der Gedanke, zu versuchen, ein kumulatives Spiel einzuführen, bei dem nicht das Gegeneinander, sondern das Miteinander zählt. Aber das haben die Firmeninhaber nicht einmal probedrucken wollen, und so habe ich es verbrannt. Danach habe ich noch einen letzten Versuch unternommen: ein Kartenspiel mit Bildern, die ich viel weicher und lieblicher malte als bei den Kartenspielen für Männer. Die haben sich am Anfang auch recht gut verkauft, doch ganz plötzlich war damit Schluß: Wenn die Ehemänner die Spiele fanden, wußten sie, daß ihre Frauen heimlich Karten spielten. Und dann gab's oft Krach oder gar Prügel, weil die meisten Männer das ihren Frauen nicht erlaubten. So haben die Frauen eben wieder heimlich mit den Karten ihrer Männer gespielt. Und das ist bis heute so geblieben. Interview: Werner Raith