Adoptivkind, zusammengerührt

„Geboren 1999“ und „KU1 — Das letzte Geheimnis“ im ersten Programm  ■ Von Irene Stratenwerth

„Junger Mann, Sie sind eine Horrorvision“, entfährt es der erfolgreichen Physikerin, als sie vom sechzehnjährigen Karl erfährt, daß sie seine Mutter ist — Mutter eines Retortenbabys, das im Reagenzglas aus einer Eizelle, die sie für Forschungszwecke zur Verfügung stellte, und dem Samen eines bezahlten Spenders „zusammengerührt“ wurde.

Die Zukunft, die uns der Film Geboren 1999 für das Jahr 2015 entwirft, ist nicht einmal besonders schwarzgemalt. Nette Menschen bedienen lässig die neuen Technologien, Elektroroller und Bildschirmtelefone, und ebenso locker scheint ihr Umgang der Reproduktionsmedizin zu sein. Die Formeln von sozialer und biologischer Elternschaft, Leihmutterschaft und In-Vitro-Fertilisation sind jedem Kind geläufig. „Das ist doch ganz normal“, erklärt die sechzehnjährige Sara ihrem Freund Karl, der von seinen Eltern adoptiert wurde, weil ihnen nach einem AKW-Störfall (1996 bei Hamburg) von der Zeugung eigenen Nachwuchses abgeraten worden war. Karl aber bekommt bei der Suche nach „seinen Eltern“ in den staatlichen Datenbanken und Leihmutterstellen immer rätselhaftere Auskünfte. Die dramatische Auflösung: Das Kind wurde als erster Embryo im Rahmen eines medizinischen Experiments in einer künstlichen Gebärmutter großgezogen.

Der Versuch, die ethisch-moralischen Dimensionen der Gen- und Reproduktionstechnologie am fiktiven Einzelschicksal durchzuspielen, ist gewagt. So bewegt sich der Film, dessen Drehbuch Beate Langmaack nach Motiven des gleichnamigen Romans der Wissenschaftsjournalistin Charlotte Kerner geschrieben hat, manchmal hart an der Grenze zum Lehrstück. Einzelne Szenen wirken merkwürdig steril; manche Figuren, wie beispielsweise die Adoptivmutter des Sechzehnjährigen, bleiben eher blaß.

Doch dem Hauptdarsteller Sebastian Rudolph gelingt es, die Auseinandersetzung mit seiner Herkunft und Identität glaubwürdig und mitreißend zu transportieren. Auch wenn er damit in Widerspruch zu einer der schwächeren Ideen des Drehbuches gerät, die Karl als „kalten“ und gefühlsarmen Jungen beschreibt. Selbst wenn Karl ein ganz normaler und ziemlich sympathischer Kerl geworden ist — dieser Schluß liegt eigentlich viel näher — haben seine genetischen und technischen „Eltern“ ihn in einen unfaßbaren Lebenskonflikt „hineingeboren“ und müssen ihn zwangsläufig damit allein lassen.

Die Stärke des Films liegt in seiner Nähe zur schon heute angelegten Realität. Es werden keine seelen- und gewissenlosen Zombies vorgeführt, sondern durchaus vertraute Charaktere mit „legitimen“ Motivationen. So zeigt sich Karls „Erzeuger“, der Reproduktionsmediziner Prof.Wald (Ulrich Matschoss), zum Schluß hocherfreut darüber, daß er seine Erfindung der künstlichen Gebärmutter endlich genehmigen lassen kann: „Hunderte und Aberhunderte von gesunden Kindern werden heranwachsen. Die Wünsche der adoptionswilligen Eltern können endlich befriedigt werden.“

Daß nichts an diesem Zukunftsgemälde überzogen ist, zeigt Gero von Boehm in einer Dokumentation, die im Anschluß an die Tagesthemen gesendet wird: KU1 — Das letzte Geheimnis. Er hat unter anderem die berühmte „Nobelpreisträger-Samenbank“ in Kalifornien aufgesucht und mit einer Mutter gesprochen, die sich dort das genetische Material für ein Kind mit ihren Wunschbegabungen aussuchte. Boehm hat in einer „Fruchtbarkeitsfabrik“ in der Nähe von Cambridge gedreht, in der schon heute 3.000 Embryonen für Experimente mit künftigen Technologien auf Eis liegen. Und in Italien ist er auf die ersten Versuche zur Entwicklung einer künstlichen Gebärmutter gestoßen. Im Vergleich zu den Zukunftsvisionen von Geboren 1999, so Gero von Boehm, sei die von ihm vorgefundene Wirklichkeit „immer noch ein bißchen erschreckender“.