GASTKOMMENTAR
: Trümmerkönig Walesa

■ Polens Staatspräsident bringt alte Geister nach Deutschland mit

Wie viele Walesas hat es eigentlich schon gegeben? Den jungen sportlichen Streikführer; den genialen Taktiker, der die Gewerkschaft Solidarność wie einen Phönix aus der Asche des Kommunismus auferstehen ließ; den Rowdy, der mit der politischen Axt begann und auf einem Haufen politischer Trümmer die Präsidentschaftswahlen als großer Sieger gegen einen Tyminski beendete — all diese Facetten muß man berücksichtigen, wenn man seine heutigen Aktivitäten bewertet. Gewiß gibt es auch Analogien zwischen ihm und dem deutschen Kanzler der Einheit, der eine historische Arbeit vollbracht hat und jetzt das Ergebnis auslöffeln muß. Weder der eine noch der andere kann sich einfach im Erfolg sonnen.

Unter Walesa hat Polen den Intellektuellen sein wahres Gesicht gezeigt: mit Spießbürgertum, mit der schwarzen „Sotnja“, mit Nationalismus und Klerikalismus. Die alten Geister, die nach dem Kriege eingeschlummert waren, sind der Pandorabüchse entstiegen — maßgeblich an ihrem Erwachen beteiligt ist Lech Walesa. Wenn er sein Amt tatsächlich als Pflicht versteht, muß er also an ihrer Zähmung und Begrenzung mitwirken. Mit der Pest des Nationalismus wird Polen wahrscheinlich genauso leben lernen müssen wie Deutschland, Frankreich oder Belgien. Daß er hoffentlich nicht zur polnischen Staatsideologie wird, ist eine der Aufgaben des Staatspräsidenten.

Walesa bemüht sich redlich, das Schlimmste zu vermeiden. Er war es, der allen Befürchtungen zum Trotz Jan Krzysztof Bielecki, den bisher erfolgreichsten polnischen Premierminister, als Nachfolger des beleidigten Tadeusz Mazowiecki designierte. Er versuchte mit allen Mitteln, die Regierung Olszewski zu verhindern, die schwärzer ist als Peter Gauweilers Schnurrbart. Da es ihm nicht gelungen ist, trachtet er nach einer zumindest einigermaßen pragmatischen Zusammenarbeit innerhalb des polnischen Rechtsstaates, den es noch zu festigen gilt. Denn erneute Neuwahlen würden möglicherweise nur noch ein Zehntel der Wähler interessieren. Kurz: Er tut das Vernünftigste in dieser von ihm mitverursachten Lage.

Es ist gut, daß Walesa nach Deutschland gekommen ist. Er wird gewiß das eigene Land, in dessen Parlament viele Fundamentalisten sitzen, die sich keine Annäherung an Deutschland wünschen und mit alten Parolen politisches Kapital schlagen wollen, klug und gut vertreten. Ein Walesa aber macht noch keinen Frühling. Piotr Olszowka

Der Autor arbeitet im Berliner Bauhausarchiv.