INTERVIEW
: „Warum sollten japanische Unternehmen ihr Geld in Deutschland investieren?“

■ Hirohiko Okumura, Leiter und Chefökonom des Nomura-Forschungsinstituts in Tokio, zur angeblichen Rezession der japanischen Wirtschaft und Investitionen in der Ex-DDR

Als Forschungsleiter des größten Wertpapierhauses der Welt, Nomura, zählt der ehemalige Zentralbank-Manager Hirohiko Okumura zu Japans international renommiertesten Wirtschaftsexperten. Er gilt als vehementer Verfechter eines staatlich überwachten Wirtschaftssystems.

taz: An der Wall Street ist bereits von einer japanischen Rezession die Rede. Teilen Sie die Aufregung?

Hirohiko Okumura: Japan ist die größte Kreditgebernation der Welt. Der Überschuß in unserer Zahlungsbilanz belief sich zwischen 1983 und 1991 auf 850 Milliarden D-Mark. In der gleichen Zeit betrug das Defizit in der amerikanischen Zahlungsbilanz 1.450 Milliarden D-Mark, weshalb die USA zur größten Schuldnernation wurden. Viele westliche Beobachter haben diese finanzielle Kluft über 2.300 Milliarden Mark zwischen Japan und den USA offenbar nicht begriffen, wenn sie nun die wirtschaftliche Lage in beiden Ländern vergleichen. Sie ist nicht zu vergleichen. Japan hat genug Geld, um die eigene Wirtschaft wiederzubeleben. In den USA ist das nicht der Fall.

Aber Wirtschaftexperten in London und New York sagen Japan eine ernsthafte Rezession voraus. Demnach würde der Wachstumsrückgang auch in Japan nicht bei zwei oder drei Prozent halt machen?

Die japanische Wirtschaft ist in den letzten vier Jahren um fünf Prozent gewachsen. Nach einer so langen Boomphase ist die jetzige Übergangsphase ganz selbstverständlich. Im Finanzjahr 1991 lag das Wachstum bei 3,5 Prozent, dieses Jahr wird es zwischen 2,5 und 3 Prozent liegen. Das sind immer noch Zuwachsraten. Für eine Rezession fehlt jeder statistische Beweis.

„Fast allen unseren traditionellen Unternehmen geht es gut“

Der Tokioter Börsenindex ist während der letzten zwei Jahre auf die Hälfte seines Rekordstandes von 1989 gefallen. Verluste muß es also doch gegeben haben?

Vom Oktober 1990 bis zum März dieses Jahres hat Japan eine strenge Wirtschaftspolitik mit hohen Zinsen verfolgt. Gerade aus dem Börsengeschäft mußten die hochschreienden Gefühle vertrieben werden, um die Spekulanten zu verabschieden und die Vermögenswerte herunterzuholen. So lassen sich die Konkursmeldungen einiger Immobilien- oder Wertpapierfirmen erklären, die in den Boomjahren große Kredite erhalten haben. Davon sollte man sich aber nicht in die Irre führen lassen: Im Gesamtkontext der japanischen Wirtschaft sind das vereinzelte Phänomene. Fast allen unserer traditionellen Unternehmen, die an keinem Skandal beteiligt sind, geht es sehr gut. Gerade dieser Unterschied zwischen den jungen, kleinen Spekulationsunternehmen der letzten Jahre und den großen, alteingesessenen Konzernen geht bei der Betrachtung vom Ausland oft verloren. So entstehen die im Westen nach wie vor populären, wenngleich naiven Einbruchszenarien für die japanische Wirtschaft.

Wenn schon nicht Japan, wird dann der Rest der Welt unter den veränderten Bedingungen auf dem Tokioter Finanzmarkt leiden?

Ja. Japan zieht in der Tat seine Investitionen in der Welt zurück. Vor allem wird das japanische Geld nicht mehr automatisch in die USA fließen. Dort haben die japanischen Finanzunternehmen in einer ersten Investitionsphase eigene Niederlassungen gegründet. Jetzt sind sie mehr mit dem Management ihrer neuen Vermögen beschäftigt. Zumal der schwache Yen Auslandsinvestitionen derzeit nicht begünstigt. Das gilt besonders im Verhältnis zur DM, der gegenüber dem Yen im Febraur 1992 unter seinem realen Wert vom Oktober 1978 lag.

Schließt das umfangreiche japanische Investitionen in der Ex-DDR weiterhin aus?

Das Risiko, daß die Bundesbank bald die Zinsen senkt, ist sehr groß. Das birgt Gefahren für japanische Investoren, zumal wenn die deutsche Wachstumsrate unter zwei Prozent fällt. In Japan können wir dagegen von einer wirtschaftlichen Erholung im Sommer ausgehen. Warum also sollten japanische Unternehmen ihr Geld in Deutschland investieren?

„In der ehemaligen Sowjetunion fehlt immer noch die Infrastruktur“

Dennoch wartet Europa auf ein substantielles japanisches Engagement für die GUS. Ist der finanzielle Spielraum dafür in Japan noch vorhanden?

Was die Regierung betrifft: ja. Für den Privatsektor fehlt in der ehemaligen Sowjetunion immer noch die Infrastruktur.

Trotz der Rezession steigt der japanische Handelsüberschuß. Wird der Dauerkonflikt mit den USA und der EG also andauern?

Weil der Yen sehr unterbewertet ist und weil Japans Wachstumsrate derzeit unterhalb des Möglichen liegt, wird der japanische Handelsüberschuß wieder mehr. Wenn der Yen zum Dollar wieder bei 120 steht (derzeitiger Kurs: 133, d. Red.) und das japanische Wachstum wieder vier Prozent erreicht, also spätestens im Herbst, dann wird auch der japanische Handelsüberschuß wieder rapide absinken. Interview: Georg Blume