Tokio will Wirtschaftskrise stoppen

■ Mit Notmaßnahmen will die japanische Regierung die Konjunktur beleben/ Druck der USA und Brüssel wächst, die Handelsbilanz auszugleichen/ Experten und Unternehmer bleiben skeptisch

Aus Tokio Georg Blume

Die japanische Regierung hat die wirtschaftliche Krise eingestanden. Zum ersten Mal seit fünf Jahren verabschiedete das Tokioter Kabinett gestern umfassende „Notmaßnahmen“ zur Belebung der Konjunktur. Gleichzeitig kündigte die japanische Zentralbank eine drastische Senkung des Leitzinssatzes um 0,75 Prozent auf nunmehr 3,75 Prozentpunkte an. Vermehrte öffentliche Ausgaben und billigere Kredite sollen helfen, die sich seit einigen Monaten ankündigende Rezession in Japan schon im Keim zu ersticken. Seit Oktober 1991 sinkt das Bruttosozialprodukt.

Mehr denn je müssen die japanischen Wirtschaftsplaner dabei auf die Sorgen im Ausland Rücksicht nehmen. „Japan kann seine Rezession nicht mehr exportieren“, sagt Kenneth Coutis, Chefökonom der Deutschen Bank in Tokio. Damit meint er die bisherige Praxis japanischer Unternehmen, wirtschaftlich schlechte Zeiten in Japan mit einer Steigerung der Exporte zu überbrücken. Genau diese Reaktion will die japanische Regierung mit ihrem Konjunkturpaket vermeiden.

Die Maßnahmen sind wenig originell, im Volumen aber durchaus eindrucksvoll. Allein in den nächsten sechs Monaten sollen öffentliche Investitionen über 140 Milliarden Mark getätigt werden. Das sind 13 Milliarden Mark mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auf diese Weise wird ein Teil des Investitionsplans für das Finanzjahr 1992 vorgezogen. Das japanische Finanzjahr beginnt heute am 1. April und endet am 31. März 1993. Reichen diese Mittel bis zum Herbst nicht aus, um 1992 eine Wachstumsrate von 3,5 Prozent zu erzielen, ist ein Nachtragshaushalt geplant. Das Geld soll vor allem in traditionelle Infrastrukturprojekte wie Straßenbau, Parkanlagen, Kraftwerke oder das Telefonnetz fließen. Daneben sind Krediterleichterungen im Wohnungsbau und kürzere Arbeitszeiten (5-Tage-Woche) im öffentlichen Dienst geplant.

Unter internationalem Druck

Bei genauerem Hinsehen lassen sich die internationalen Zwänge erkennen, denen Japan heute gehorchen muß. Schon das außerordentlich hohe Volumen der öffentlichen Investitionen im letzten Jahr kam aufgrund des Drucks aus den USA zustande. Für die künstliche Stimulation der japanischen Binnennachfrage aber gibt es nur ein Grund: Der scheinbar unbesiegbare Handelsüberschuß.

Bleiben die Notmaßnahmen der japanischen Regierung bei dem Versuch erfolglos, die japanischen Importe wesentlich zu steigern, droht für 1992 ein neuer japanischer Handelsrekord. Schon im letzten Jahr überstieg das japanische Handelsplus die Schallgrenze der 100 Milliarden Dollar. Weder die USA noch die EG sind bereit, diese Zustände weiter zu dulden. Hatte nicht jede japanische Regierung seit Beginn der achtziger Jahre versprochen, die Handelsbilanz langfristig auszugleichen?

Grund für die fehlende Handelsharmonie zwischen Japan und dem Westen ist heute vor allem das Ungleichgewicht in der Güterverteilung. Während die japanischen Importe aus Europa meist aus Luxusgütern bestehen, auf das die Kunden in der Krise als erstes verzichten, liefert Japan unabdingliche Waren zu billigerem Preis nach Europa. Derzeit überlegt sich der japanische Angestellte eben zweimal, ob er das Geld für den neuen BMW wirklich zusammenbekommt, während umgekehrt der europäische Kunde den Toyota aus Spargründen kauft.

Weltwirtschaftlich gleicht das japanische Konjunkturprogramm damit einer Bewegung am falschen Hebel. Konjunkturbelebende Maßnahmen wären derzeit vor allem in den USA erforderlich, wo es die Unternehmen bislang nicht schaffen, mit eigener Kraft aus der Talsohle der Rezession zu entkommen. Doch dafür fehlt der Bush-Administration das Geld. Europa verfügt seinerseits nicht über die notwendigen Mittel für den Wiederaufbau im Osten. Tatsächlich ist Japan das letzte Land unter den reichen Industrienationen, das sich derzeit eine Konjunkturpolitik nach altem Muster noch leisten kann.

Tokios Börse am Tiefpunkt

Dennoch zweifeln viele Beobachter, ob die gestrigen Maßnahmen Japan tatsächlich vor der Rezession bewahren können. Am Tag ihrer Verkündung plumpste der Tokioter Aktienindex auf 19.345,95 Punkte, seinen tiefsten Stand seit fünf Jahren. Umfragen unter Unternehmern ergaben, daß man auch hier an eine wirtschaftliche Erholung noch in diesem Jahr nicht glaubt. „Die Unternehmen halten sich zurück“, rechtfertigte Premierminister Kiichi Miyazawa gestern die Regierungsentscheidungen, „aber sie sind grundsätzlich investitionsbereit. Unsere Maßnahmen sollen ihnen das Vertrauen zurückgeben.“ Demgegenüber qualifizierte die Tokioter Tageszeitung 'Asahi Shimbun‘ die Notmaßnahmen der Regierung als „halbherzig und ungenügend“, weil darin Steuererleichterungen und neue Investitionsprojekte nicht enthalten seien.