Die Helfer wenden sich ab

Afghanistans Staatschef Nadschibullah will Weg für Übergangsregierung frei machen/ Eine Konferenz führender Politiker und Persönlichkeiten soll über die Zukunft des Landes entscheiden  ■ Von Ahmad Taheri

Selbst die Feinde des afghanischen Staatschefs Mohammad Nadschibullah haben stets dem Kommunistenführer Stehvermögen bescheinigt. Der „Gow“, der „Ochse“, wie das Volk den stiernackigen Politiker nennt, ist auch eine Metapher für Beharrlichkeit. Nadschibullah überstand die jahrelange Blockade und Angriffe der muslimischen Rebellen, den Auszug der russischen „Helfer“ und den Zerfall des sowjetischen Imperiums, aus dem er Geld, Waffen und Nahrung bezog. Um so mehr überraschte der Herr von „Kabulistan“ sein Volk, als er jüngst im afghanischen Fernsehen ankündigte, er sei bereit, die Macht an eine Interimsregierung abzugeben, wie es der Plan der Vereinten Nationen vorsieht. Er wolle, erklärte der 44jährige gelernte Kinderarzt, in der künftigen Regierung keine Rolle spielen. Ganz freiwillig war die frohe Botschaft wohl kaum. Vier Tage lang hatte der UNO-Vertreter, der Zypriote Benon Sevan, auf den mächtigen Mann am Hindukusch eingeredet. Auch Nadschibullahs eigene Genossen von der „Watan“, der einstigen volksdemokratischen Partei, hatten ihn ultimativ zum Rücktritt aufgefordert.

Mit der Erklärung Nadschibullahs sind die Friedenschancen im mittelasiatischen Bergland größer geworden. Denn der „historische Schritt“, wie Radio Kabul die Verkündigung des Präsidenten apostrophierte, entwaffnet politisch die ewig unversöhnlichen unter den muslimischen Rebellenführern, die auf einen militärischen Sieg setzen: Gulbuddin Hekmatyar, Abdul Rasul Sayyaf und Junes Chales. Diese haben bis jetzt den UNO-Plan für eine friedliche Lösung mit der Begründung abgelehnt, er wolle die Kommunisten an der provisorischen Regierung beteiligen.

Doch der eigentliche Schlag gegen die afghanischen Fundamentalisten kam nicht vom kommunistischen Feind, sondern von muslimischen Freunden. Nach den USA unterbanden unlängst auch die Pakistanis die Waffenlieferungen für die afghanischen Zeloten und dringen nun auf eine friedliche Lösung. Mehr als zehn Jahre hatte Islamabad auf den Waffengang der heiligen Krieger im afghanischen Nachbarland gesetzt. Der selige pakistanische Präsident Sia-ul Hak wollte an der Spitze der Mudschaheddin in der Freitagsmoschee von Kabul das Siegesgebet verrichten. Der amtierende pakistanische Regierungschef Nevas Scharif ist zwar ein frommer Moslem, doch kein Freund der Fundamentalisten. Er ist bemüht, das arg getrübte Verhältnis zu den USA zu bereinigen, zumal die Auseinandersetzungen mit Indien um den ewigen Zankapfel Kaschmir immer bedrohlicher werden. Auch der neue Armeechef, General Asif Navas Janjua, ist ein Mann von pragmatischem Geist. Für ihn ist die US-Militärhilfe weit wichtiger als die Brüderlichkeit mit den Partisanen Allahs in Afghanistan.

Auf dem Weg in die USA machte Navas Janjua eine Stippvisite in Rom, wo er mit dem Neffen des Ex- Königs Sahir Schah zusammentraf. Jahrelang war für Islamabad der verjagte Monarch, der seit 1973 im römischen Exil verweilt, eine Unperson. Der achtundsiebzigjährige Zahir Schah soll nach dem UNO-Plan der provisorischen Regierung als integrative Gallionsfigur vorstehen. Der sanftmütige Ex-Herrscher ist nämlich bei der afghanischen Bevölkerung überaus beliebt.

Auch die andere Partei des afghanischen Krieges, die islamische Republik Iran, die die schiitischen Freischärler in Zentralafghanistan mit Waffen und Geld unterstützte, hat längst ihre Friedensabsicht bekundet. Teheran will die zwei Millionen afghanischer Flüchtlinge loswerden, die nicht nur der Staatskasse zur Last fallen, sondern auch für soziale Probleme sorgen. Ein befriedetes „muslimisches“ Afghanistan, wie die UNO-Formel besagt, ist für Iran wie für Pakistan von großer außenpolitischer Bedeutung. Die beiden Länder sind bestrebt, in den islamischen Republiken des einstigen Sowjetreiches Einfluß zu nehmen. Afghanistan, das mit den drei südlichen Republiken Mittelasiens Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan gemeinsame Grenzen hat, ist der Brückenkopf des politischen und wirtschaftlichen Vorstoßes in Mawara an-Nahr, „jenseits des Flusses“, wie die Araber einst die Regionen nördlich des Amu Darja nannten.

Ob bald der Frieden in den afghanischen Tälern einkehrt, wird sich Ende April in Genf oder Wien zeigen. In einer dieser Städte veranstaltet die UNO ein „Idjlas“, eine Sitzung mit hundertfünfzig Afghanen: Mudschaheddinführer, Feldkommandanten, Stammeshäuptlinge, einstige Politiker und andere „namhafte Persönlichkeiten“. Nach dem Fahrplan des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali sollen die Teilnehmer des zwei- bis dreitägigen Treffens im April eine Arbeitsgruppe von etwa fünfunddreißig Personen bestimmen, die Empfehlungen für eine islamische Übergangsregierung ausarbeiten soll. Spätestens sechzig Tage nach dem ersten Treffen soll dann eine „größere Versammlung“ einberufen werden, die alle wichtigen Entscheidungen, etwa freie Wahlen noch in diesem Jahr, zu treffen hätte. Ob auch die Fundamentalistenführer an der UNO-Konferenz teilnehmen werden, ist nicht klar. Unklar ist auch, wer die Partei Nadschibullahs vertreten wird.

Auch wenn der UNO-Plan zu einem positiven Abschluß kommt, ist damit der Friede in Afghanistan längst nicht sicher. Der geschundene Vielvölkerstaat ist voller ethnischer, religiöser und sozialer Konflikte. Die nationalen Minderheiten wie Usbeken, Turkmenen und Tadschiken sind durch die selbständigen Republiken ihrer Volksgenossen jenseits des Amu zu neuem Selbstbewußtsein gekommen. Sie sind nicht mehr bereit, den Anspruch der Paschtunen, die Herren des Landes zu sein, widerspruchslos hinzunehmen. Und für Hunderttausende von jungen, bis an die Zähne bewaffneten Afghanen gibt es im Frieden keine Chance. Sie haben nichts gelernt außer mit der Kalaschnikow in den Bergen herumzuschießen. Ob sie die Waffen aus der Hand geben werden, ist mehr als fraglich.