Mit Prinzip und ohne Skrupel

Frankreichs Grüne erweisen sich nach den Regionalwahlen als „Realos“ auf dem Weg zur Macht/ Ökologin wird Präsidentin der Kohleregion im Norden/ Umweltminister Lalonde dankt ab  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Das schwarze Land ist immer rot gewesen. Seit gestern ist es grün. Die nordfranzösische Kohleregion Nord-Pas de Calais wählte gestern nacht die Biologielehrerin Marie- Christine Blandin zur Präsidentin des Regionalrats. Zum ersten Mal wird damit eine Ökologin über die Geschicke einer französischen Region zu entscheiden haben. Die 39jährige Politikerin der „Verts“, deren Liste bei den Regionalwahlen lediglich auf 6,9 Prozent kam, wurde mit den Stimmen der Sozialisten, der Kommunisten und eines Teils von „Generation Ökologie“ gewählt.

Wenige Wochen nachdem im Pas- de-Calais die letzte Kohlenlore ans trübe Licht gezogen wurde, endete damit eine historische Vorherrschaft der Linksunion im Norden, dem Land von Zolas Germinal. In der Krisenregion zwischen Valenciennes und Calais ist die Arbeiterklasse zusammen mit der letzten Grube endgültig Vergangenheit geworden. Wirtschaftskrise und Strukturwandel haben die soziale Basis der Linksunion zerrüttet. Das Departement Nord ging an die Bürgerlichen, die rechtsextreme „Front National“ (FN) sammelte 15 Prozent der Stimmen unter den Absteigern des Modernisierungsprozesses.

Die neue Regionspräsidentin Marie-Christine Blandin gilt als Grüne mit linken Sympathien und damit als Kritikerin von Parteichef Antoine Waechter. Letzterer kommentierte den unerwarteten Erfolg von Blandin so auch als „Teilsieg“ und sprach von einem „vergifteten Geschenk“ der regierenden Parti Socialiste (PS). Waechter fürchtet, von den Regierungslinken zum Reserverad gemacht zu werden. Grüne Posten — alte Politik. Premierministerin Edith Cresson hatte am Samstag, wie jetzt bekannt wurde, mehreren grünen Politikern Kabinettsposten angeboten. Letzter Versuch, die „fortschrittlichen Kräfte“ — so lautet jetzt die Parole — um ihre Partei zu sammeln.

Doch die Sozialisten stehen nach den Kantonswahlen am Sonntag isolierter da denn je. Zum ersten Mal funktionierte die „Solidarität der Linken“ an der Basis nicht mehr: Wer beim ersten Wahlgang kommunistisch oder ökologisch gewählt hatte, gab seine Stimme bei der Stichwahl diesmal nicht automatisch einem sozialistischen Kandidaten.

Das endgültige Aus für die PS kam gestern morgen: „Angewidert von der Politpraxis“, kündigte Umweltminister Brice Lalonde seinen Rücktritt aus der Regierung Cresson an. Die Affäre um die angebliche Wahl zweier Minister mit den Stimmen der FN (in den Regionen Burgund und Lothringen) habe ihn dazu bewogen, „wieder an die Basis zu gehen“ und sich dem Aufbau seiner Partei zu widmen. Der Gründer von „Generation Ökologie“ forderte außerdem sofortige Parlamentswahlen, um die politische Krise zu beenden. Falls es zu Neuwahlen kommt, möchte Lalonde als unabhängige Kraft in den Wahlkampf gehen, ohne den Ballast des Ministeriums einer Regierung, die Tag für Tag an Legitimität verliert. Lalonde hofft, als Vertreter eines Lagers „realistischer Ökologen, moderner Sozialisten und Erneuerer der Mitte“ zum Königmacher einer neuen Mehrheit zu werden. Wenn nicht gar zum König...

Querbeet ernten

Den französischen Grünen hängt der Nimbus der Fundamentalisten nach — „Khmer Verts“ ruft sie ein Kalauer. Doch sie haben zehn Tage nach ihrem Erfolg bei den Regionalwahlen gezeigt, daß auch Prinzipienreiter Politik machen können. Bei den Verhandlungen in den neugewählten Regionalräten hielten sich die Ökologen ans Lehrbuch für den Bio-Ackerbau: querbeet streuen — und um so mehr ernten. Im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen haben „Les Verts“ keinerlei Skrupel, gemeinsam mit den Rechten zu stimmen, wenn es der Sache dient. Im Languedoc-Roussillon machten die Grünen einen Bürgerlichen zum Präsidenten, nachdem dieser versprochen hatte, keine Kredite für den Ausbau der Autobahnen und des Streckennetzes für Frankreichs Schnellzug TGV bereitzustellen. Dabei hatten „Generation Ökologie“ und PS einen leibhaften Öko-Gegenkandidaten aufgestellt...

Auch Lalondes Formation hat es vermieden, in den Ruch eines Wurmfortsatzes der Linksunion zu geraten. In der Pariser Region Ile-de-France etwa stimmten seine Kandidaten für einen Neogaullisten und traten in die Verwaltung ein. Mit dieser Haltung hat sich „Generation Ökologie“ den Waechter-Grünen zumindest in der Taktik angenähert: die neue Unübersichtlichkeit nutzen und sich alle Optionen offenhalten. Machiavelli hätte seine Freude.