Noch nicht verdrängt von Blechlawinen ruft der Rauhfußkauz

Je lauter die Kritik am Autobahnprojekt Dresden-Prag wird, desto geheimnisvoller schreitet die Planung voran/ „Wenn sie mehr Verkehr wollen, müssen sie diese Autobahn bauen“/ Umweltgruppen fordern Verzicht auf alle „Korridore“ und ein ökologisches Verkehrskonzept für Sachsen/Böhmen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die schlanke Biela ist von den Schmelzwassern der Berge aus dem Winterschlaf geweckt worden. Munter rauscht sie durchs grüne Tal zur Elbe. Auf ihrem Weg begegnet sie zerklüfteten Felsmassiven, phantastischen Sandsteinplastiken, Dörfern und Feldern. Von den Ufern aus führen einsame Wanderwege in die Sächsische und die Böhmische Schweiz.

Nur eine halbe Fußstunde vom Lauf der Biela entfernt trägt der Wald eine breite Wunde, die sich wie ein Band über die Hügel zieht. Nur hin und wieder ist sie durch eine kleine Schonung geflickt worden. Hier entlang sollte schon in den dreißiger Jahren eine Reichsautobahn geführt werden, die Prag an Dresden bindet. Seit den siebziger Jahren wurde die geplante Autotrasse als „Bauvorbehaltsfläche“ freigehalten und an den Flanken schon mal vorbeugend mit rauchresistenten Lärchen und nordamerikanischen Kiefern bepflanzt.

Heute lebt das Projekt einer Autobahn zwischen Dresden und Prag im Entwurf für den Bundesverkehrswegeplan fort, der noch in diesem Jahr von der Bundesregierung beschlossen werden soll. „Wenn die Autobahn auf der seit 60 Jahren freigehaltenen Trasse gebaut wird, dann zerstört sie endgültig eine in Europa einmalige Landschaft“, faßt Björn Gedlich die Befürchtungen der Schutzgemeinschaft Sächsische Schweiz zusammen. „Das Tal der Biela würde verlärmt, Bergsteiger und Wanderer müßten auf ihren Wegen immer wieder das graue Band sehen.“ Abgase, die das Sandgestein der Felsen zerbröseln und den ohnehin schon durch Schwefeldioxid angegriffenen Bäumen den Rest geben, Autobahnabfahrten, die den Platz von ganzen Dörfern verschlingen und eilige Touristen ausladen, die Urwaldabenteuer suchen: für den kleinen, drahtigen Mann, der hier als Bergsteiger und Naturschützer jeden Pfad kennt, ist soviel Unverstand in einem einzigen Projekt kaum zu fassen.

Im Diebesgrund, einer waldreichen Schlucht nahe der Grenze zu Böhmen, beschreibt der Biologe Harald Kubitz seine vage Hoffnung: „Das Nadelkleid der Bäume hier ist etwas schütter, das rührt von der Rauchbelastung her. Sie wären noch zu retten, wenn es weiter gelingt, die Emissionen zu senken. Aber wenn die Autobahn kommt, stirbt dieser Wald in spätestens zehn Jahren.“ Nur 50 Meter vom Wanderweg entfernt wäre die Trasse. Im Mikroklima des tiefen, selten betretenen Tales leben noch eiszeitliche Pflanzen und seltene Tiere. Irgendwo drinnen im Wald ruft manchmal der Rauhfußkauz.

Auf den südlichen Höhen Dresdens beginnend, sieben Täler auf sieben gigantischen Brücken überquerend, führt die Trasse der A13, die als sogenannte „Vorzugsvariante“ gehandelt wird, am Rande von Sächsischer Schweiz und Osterzgebirge nach Böhmen. Dieser Tage sahen sich VerkehrsexpertInnen des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) die Gegend an. Ihnen gegenüber räumt Björn Gedlich ein, daß es eventuell nur ein „Schattenboxen“ sei, die „Vorzugsvariante“ anzugreifen. Neben ihr werden angeblich sieben weitere Varianten auf ihre Eignung geprüft.

Als das Entwicklungsforum Dresden kürzlich eine öffentliche Anhörung zur geplanten Bundesautobahn eröffnete, mußte es zunächst fade Ausreden der Verantwortlichen aus Bonn und Dresden in den überfüllten Plenarsaal des Rathauses reichen. Das Bundesverkehrsministerium schob — was sonst — Termindruck vor. „Diskussionen ohne sachliche Grundlage“ befand Krause-Mitarbeiter Klaus Dieter Stolle als „wenig zweckdienlich“.

Statt die Pläne offenzulegen, wimmelte Chef-Straßenbauer Bernd Rohde vom Sächsischen Wirtschaftsministerium ab: „Die Aufregung um die stadtnahe Südvariante aus den dreißiger Jahren ist völlig umsonst.“

„Wenn nicht diese, welche Pläne liegen dann auf den Tischen?“ fragt Maria Jacobi, Sprecherin des Ökumenischen Arbeitskreises der Dresdner Kirchen. Im Wirtschaftsministerium des Freistaaates einigten sich unterdessen die sächsischen und tschechischen Straßenbauverwaltungen darauf, „daß die Untersuchungen zur Grenzübergangsstelle Liebenau/Telnice und Rosenthal/ Tisa gemeinsam fortgeführt werden“. Eine eindeutige Zusage für jene nur geringfügig verschobene Vorzugstrasse.

50.000 Fahrzeuge täglich kündigen Prognosen für die stadtnahe Variante der Autobahn an. Das sind dreimal soviel wie auf dem Brennerpaß. Höchstens 9.000 davon werden aus dem innerstädtischen Verkehr herausgelöst. Die Differenz erklärt sich aus dem europäischen Kontext dieser Autobahn. Sie würde nicht nur den Verkehr zwischen Sachsen und Böhmen aufnehmen, sondern den Transitverkehr zwischen Skandinavien und Südeuropa bündeln und mit einem zwölf Kilometer langen Abgasteppich an der Stadt, ihren Naherholungsgebieten und an der Sächsischen Schweiz vorbeileiten. Eine Vision, die der Wiener Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher auf einem Forum in Dresden lakonisch formulierte: „Wenn Sie mehr Verkehr haben wollen, dann müssen Sie diese Autobahn bauen.“

Die Planer in Dresden und allen voran Stauminister Krause in Bonn scheinen aber wild entschlossen. Obwohl die A13 nicht zu den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit gehört, wird sie in einem Papier des Bundesverkehrsministeriums vom Dezemer 1991 unter der Rubrik „Bereits vorliegende ökologische Beurteilungen zu Verkehrsprojekten Deutsche Einheit“ aufgeführt. Zwar weist diese dem gleichen Haus zugegangene ökologische Studie den „Korridor Sächsische Schweiz“ als „nicht vertretbar“ aus. Doch BUND-Verkehrsexpertin Karin Lorenz-Hennig warnt vor dem Trugschluß, daß damit das Projekt vom Tisch sei. Für diese Skepsis spricht, daß die Studie „eine Abgrenzung relativ konfliktarmer Korridore“ als unmöglich erachtet, nach diesen Strecken wird aber laut Bonn und Dresden eifrig gesucht. Das Netzwerk der BürgerInnen-Initiativen will öffentliche Diskussionen über die A13. Sie wollen auch mit den Menschen reden, die sich von der Trasse viel versprechen, Arbeitsplätze zum Beispiel und eine Entlastung von der Blechlawine vor ihren Haustüren. BUND-Landesgeschäftsführer Ulrich Krößin hat schon eine Idee, wie er ihnen den Trugschluß plausibel machen kann: „Wir wollen Gesprächsrunden mit Bürgern aus dem Allgäu, die noch vor Jahren vor einer ähnlichen Entscheidung standen.“

Über Alternativen zur Autobahn stritten sächsische Umweltinitiativen am Wochenende mit ihren böhmischen PartnerInnen. Beim ersten gemeinsamen Treffen in Usti n.L. lehnten sie die Trassierung durch die Sächsische/Böhmische Schweiz strikt ab. Der tschechoslowakische Naturschutzverband CSOP möchte jedoch nicht so weit gehen wie die Sachsen und spricht sich für eine „ökologisch verträgliche Variante“ aus. Während die Umweltschützer über diese Frage weiter im Gespräch bleiben, beginnen sie schon, ökologische Verkehrswege zu ebnen: Ein Fahrrad- und Wanderweg soll von Prag nach Hamburg führen. Immer am Fluß entlang.