PRESS-SCHLAG
: „Aufgeplatzter Hals“

■ Toni Schumacher, ein körperliches Wrack, nimmt Abschied — schlagkräftig wie immer

Wolfram Siebeck muß an ihm verzweifeln. Die Vereinigung der Organspender würde seine Hilfsbereitschaft dankend ablehnen. Und überzeugten Feministinnen wäre er sicherlich einen „Pascha des Monats“ wert. Allein die Philosophen fänden ein paar gute Worte für ihn: Toni Schumacher.

Hat nicht 'Zeit‘-Schmecker Wolfram S. jahrelang mit immergleichen Worten zum bekennenden Genuß aufgefordert? Sollten wir nicht nur die feinsten Materialien verwenden, um aus den frischesten aller Zutaten den Gaumen aufs köstlichste zu umschmeicheln — gleichsam die schmackhafte Synthese aus Umweltschutz und Sinnlichkeit? Und dann kommt da ein Torwart, 37, wohlhabend, welterfahren, und sagt: „Ich esse nur, damit ich nicht sterbe, ich hab' auch schon wochenlang bloß Eier gegessen.“ (Bedauerlicherweise erfahren wir im heutigen 'Stern‘-Interview mit dem Anpfiff-Autor nicht, welche Folgen das auf Verdauung und Stuhlgang gezeitigt hat.)

Gehört es inzwischen nicht zur humanistischen Grundausstattung, im Falle des plötzlichen Ablebens höchstselbst die Organe darbenden und leidenden Mitmenschen zur Verfügung zu stellen? Aber, lieber Leser, liebste Leserin, nun mal Hand aufs flatternde Herz: Möchten Sie aus den Innereien von Toni S. bedient werden? Ach ja, Sie auch nicht? Ist gut zu verstehen, versteht auch unser Keeper. „Ich hab' halt zwanzig Jahre lang die Sau rausgelassen und meinen Körper nicht geschont“, verrät er. Die Spritzen kann er gar nicht mehr zählen, die Finger waren geknickt wie die Rippen, das Nasenbein gequetscht wie die Niere — Knie, Menisken, Gelenke, Kreuzbänder, überall Blut und Arthrosen. „Ich bin ein Wrack“ — Ausschlachten sinnlos.

Und ringen nicht die Fußballspielerinnen seit Jahren um gesellschaftliche Anerkennung, hat ihnen nicht gerade Pelé nach der WM in China ein Loblied gesungen auf die spielerische Qualität? Und nun kommt der Ballfänger aus Düren (Wo das liegt? Eifel/Köln) und posaunt: „Fußball, verdammt noch mal, ist ein Männersport“ — nur weil er nach Niederlagen in seinem Kraftraum Wut und Frust am Sandsack in blutige Knöchel verwandelte und heute noch gern daran erinnert, „wie ich daliege mit aufgeplatztem Hals“.

Toni S., ein harter Hund, unerbittlich zu sich und den Battistons dieser Welt, ein ausgebuffter Haudegen, dem keiner was vormacht und der nur noch auf ein Zitat des Existentialisten Sartre1 verblüfft reagiert: „War Sartre Torwart?“ — „Nein, Philosoph.“ — „Ach so, der. Wieso weiß der eigentlich soviel über Torhüter? Aber der Mann hat recht.“ Toni, du bist ein Philosophengott!

Mit eigenwilliger Interpretation der Dinge. Wenn sich das Rad der Geschichte schon nicht zurückdrehen läßt, soll wenigstens die Vergangenheit verändert werden. WM-Finale, 1986, Mexiko, das 1:0. „So was hab' ich beim Toni noch nie gesehen!“ greinte der Fernsehreporter damals bei Tonis kläglichem Abwehrhüpfer — denn der hatte die Hände dabei stramm an der Hosennaht. Kläglich? „Nein, es sah professionell aus.“ (Schumacher)

Nur selten war Rocky-Fan Toni so tatenlos. „Ich spiele immer Vollstoff“, war sein Motto, und das gilt auch für's Abschiedsspiel gegen die Nationalelf am 14. April in Köln, da will er es allen nochmals zeigen: „Ich will gewinnen.“

Also noch einmal auflaufen, Toni, einmal noch bei der Hymne mit geschlossenen Augen wild den Kiefer bewegen und dann noch einmal kräftig in die Handschuhe spucken: „Die Mischung aus Spucke und Kaugummizucker hat einen wunderbar klebrigen Effekt“— das wahre Geheimnis von Tonis Fangsicherheit ist damit geoutet. Franz Bär

1 „Jener zum Beispiel ist ein guter Tormann: Er ist es, weil er mehrfach seine Mannschaft durch individuelle Handlungen, das heißt, durch Überschreitung seiner Machtbefugnisse in einer schöpferischen Praktik gerettet hat.“