BRIEFWECHSEL
: Von Kollege zu Kollege

■ „Der Joint, den andere rauchen, löst nicht deren, aber unsere Probleme“

Lieber Dieter Schenk,

daß Dir Dein ehemaliger Chef vom BKA, Herr Zachert, auf einen offenen Brief, zumal noch in der taz veröffentlicht, kaum antworten wird, weißt Du so gut wie ich. Spannend wäre seine Antwort aber sicher. Ich schlüpfe also einfach mal in die Rolle des BKA-Präsidenten, der Dir persönlich und streng vertraulich, sagen wir mal, so von Kollege zu Kollege, antwortet. So könnte (müßte?) die Antwort aussehen:

Lieber Kollege Schenk,

natürlich habe ich keine Angst vor Shit. Ich halte es mit dem Joint so wie Erich Honecker mit dem Hören von Westradio in Lederjacke auf dem Klo. Als BKA-Präsident darf ich mich in der Öffentlichkeit höchstens mal mit einem Gläschen Schampus zeigen. Du weißt ja, Vorbildfunktion— die Jugend könnte versaut werden.

Daß Du jetzt, als ehemaliger BKA-Direktor, in diese unglückliche Drogendebatte eingreifst, finde ich einfach gemein. Wo bleibt die Geschlossenheit der Polizei? Du weißt genau, wie schwer es die Polizei in der Gesellschaft hat! Auf der einen Seite rennen mir die Politiker die Bude ein und verlangen von mir, ihre Politikdefizite auszugleichen. Auf der anderen Seite muß ich meine unzufriedenen Polizisten immer wieder neu motivieren. Die Polizei muß schließlich auch an sich selbst denken. Der Terrorismus hat uns gewaltig weitergebracht. Daß wir in dessen Bekämpfung erfolglos waren, ist ja zum Glück noch gar nicht so aufgefallen. Die Stasi hat uns ja einige Terrorismusaussteiger ans Messer geliefert. Neue Gesetze und mehr Planstellen haben wir einfahren können.

Zimmermann, Schäuble und jetzt Seiters standen bei mir auf der Matte und beklagten, daß die Regierung keine Konzepte in der Drogenfrage habe. Die Jugend saufe immer mehr, und es würden immer mehr Straftaten unter Alkoholeinfluß begangen. Die ganze „-losigkeit“ bei Arbeit, Wohnung, Kultur, Bildung, Perspektive und Hoffnung sei nicht mehr in den Griff zu bekommen. Wenn denen nichts mehr einfällt , kommen sie zu mir. Soll ich denen sagen, daß die Polizei die Probleme auch nicht lösen kann? — Du hast schon recht, ich säge doch nicht den Ast ab,...! Außerdem weißt Du so gut wie ich, daß wir kaum fünf Prozent aller bekanntgewordenen Straftaten mit eigenen Mitteln aufklären. Meistens werden uns die Täter eben mitgeliefert, oder wir machen uns welche. Das frustriert im Grunde, und damit wir eben mehr eigene Aufklärungsarbeit leisten können, müssen wir weiter ins Vorfeld. Ehrlich, nicht daß ich Stasi-Verhältnisse will. Wanzen und geheime Dienste, ich spreche ausdrücklich nicht von Geheimdiensten, würden uns ein Stück weiterbringen. Wenn Du jetzt auch noch die Kiffer und bald die Drücker und Kokser entkriminalisieren willst, glaubt uns bald ja keiner mehr, wozu wir all die Vorfeldermittlungen mit Lauschangriffen haben wollen.

Ein Dealer ist eben ein Dealer — ob er mit 500 Gramm Hasch erwischt wurde oder mit seinem gewaschenen Geld als ehrenwerter Geschäftsmann in einer Führungsetage der Industrie sitzt, wer fragt schon danach? Schlagzeilen schaffen wir so oder so! Wenn wir den „legalen“ Geschäftemachern endlich mal an den weißen Kragen könnten, das wäre schon toll, auch wenn das mit der Feindbildgeschichte bei denen nicht so ganz hinhaut. Bei dealenden Drogenabhängigen ist die Kriminalität und deren Gefährlichkeit leichter rüberzubringen. Geschichten wie mit Drogen präpariertes Leckpapier vor Schulen von Dealern verteilt, kommen gut an und machen angst. Also mach uns unser Feindbild Drogenszene nicht kaputt!

Lieber Dieter, daß ich dem liberalen Umgang der Holländer mit dem Shit gar nicht so ablehnend gegenüberstehe, weißt Du auch. Gerade an der Grenze zu den Niederlanden haben wir schon so manches Gramm von diesem Zeug aus, ich weiß nicht wie vielen, schrottreifen Enten geholt. Das haut doch bei der Statistik unheimlich rein.

Dein Vorschlag, ich solle meine „Soldaten“ — den Ausdruck finde ich für Polizisten echt gemein — vom Drogenkriegsschauplatz auf das Feld der Wirtschaftskriminalität verlegen, ist doch alt. In unseren Manövern sind wir gerade dabei, das Feld vorzubereiten. Aber Armeen lassen sich eben nicht so schnell verschieben. Neue müssen her und auch neue „Waffen“! Wir brauchen jetzt endlich den „echten“ Undercoveragenten, der auch Straftaten begehen darf — milieugerecht! Da muß schon mal eine Wandschmiererei „Nieder mit Kurdistan“ drin sein, um auch in die Zentralen der Rüstungsindustrie einsteigen zu können. Den Vorschlag vom Gewerkschaftsboß der Polizei, Hermann Lutz, Undercoveragenten in Führungsetagen einzuschleusen und besser zu bezahlen, sagen wir mal, das Dreifache Polizistengehalt, fand ich echt geil. Das kam ja auch groß in der Tagesschau. Das Jahresgehalt eines Managers (die kriegen über 'ne Million?) könnte unser Mann dann an die Polizei überweisen.

Weißt Du, lieber Dieter, so richtig glaube ich auch nicht daran, daß wir diesen Krieg gegen die Wirtschaftsverbrecher gewinnen können. Am liebsten werfe ich auch alles in einen Topf, Wirtschaftsverbrecher, Mafia, Banden, Rotlichtmilieu, Waffenschieber und die ganze Drogenkiste, alles Organisierte Kriminalität. Ich meine, man müßte ganz anders ansetzen, um das Organisierte Verbrechen in den Griff zu bekommen. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Motor des Organisierten Verbrechens ist das Profitstreben. Die Macht des Geldes ist das Fundament der OK! Profitstreben müssen wir bekämpfen! Das werde ich mal dem Möllemann sagen — oder besser nicht? Ich sehe schon, Du wirst wieder behaupten, auch bei der OK werden wir wieder nur die kleinen Fische fangen.

Komm mir aber bitte nicht wieder damit, daß die Probleme nicht gelöst und neue geschaffen würden. Der Polizei geht es jedenfalls immer besser! Der Joint, den andere rauchen, löst nicht deren, aber unsere Probleme. Meinst Du nicht, daß das schon ein gesellschaftlicher Anfang wäre und noch genug „Problemlöser“ für die Gesellschaft übrigbleiben?

Na dann — Prost!

Manfred Such

Kriminalhauptkommissar, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, Autor von Bürger statt Bullen.

Dieter Schenks offener Brief an BKA-Chef Zachert wurde in der taz vom 28.3.92 an dieser Stelle veröffentlicht.