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Ein König spielt Demokratie

Im autokratisch regierten Marokko regen sich politische Frühlingslüfte  ■ AUS RABAT ANTJE BAUER

Eben noch waren die Gassen des Marktes voller Frauen, die unter Dutzenden Dattelsorten auswählten, für warme Brotfladen Schlange standen und kiloweise kleine Tomaten einkauften. Doch nun neigt sich der Tag, und Rabat liegt wie ausgestorben. Über die Avenue Hassan II knattert ein einsames Moped, vereinzelte Passanten eilen nach Hause. Im staatlichen Fernsehen haben die grellen, europäischen Kommerzsendungen einer gewichtigen marokkanischen Sängergruppe Platz gemacht. Endlich erklingen über der Stadt die Rufe unzähliger Muezzins: „Allahu Akbar“. Marokko seufzt erleichtert auf und greift zur Suppenschale: Die Sonne ist untergegangen, die Moslems dürfen essen und trinken. Es ist Ramadan, Fastenmonat im Reiche Hassans II.

Wie immer sind zu Beginn der Fastenzeit die Preise hochgeschnellt — wer tagsüber fastet, will nachts besonders gut essen, das wissen die Händler. Tomaten, für die obligatorische Harira-Suppe unentbehrlich, kosten jetzt 6 Dirham das Kilo, Kartoffeln 3,50 Dirham, Fleisch und Fisch sind bei Preisen um 40 Dirham das Kilo für viele Familien unerschwinglich geworden. Das staatlich festgelegte Mindesteinkommen liegt bei etwa 1.000 Dirham, rund 200 DM. Wer keine feste Arbeit hat, verfügt nicht einmal über das. Die Zeitungen beklagen sich über den Strom von Bettlern, der sich in die Großstädte Rabat und Casablanca ergossen hat — im heiligen Ramadan soll den Armen geholfen werden, so will es der Koran, das wissen auch die Ärmsten der Armen.

Gärungen

Es ist ein Ramadan der Spannung. In Algerien gärt es, Libyen wird von mehreren Westmächten bedroht, und Tunesien muß seine Moslembrüder in Schach halten. Doch Marokko scheint wieder einmal im Windschatten zu liegen. Am 3. März, dem 31. Jahrestag seiner Thronbesteigung, kündigt der König aber eine Verfassungsreform an, in der das Gleichgewicht zwischen der Legislative und der Regierung in Marokko verbessert werden solle: Im Herbst, so stellt der Monarch in Aussicht, werde das Volk über die Reform abstimmen können. Gleichzeitig freilich warnt Hassan II — unter deutlicher Anspielung auf das benachbarte Algerien — vor Übereilung in der Demokratisierung, da sonst „Implosionsgefahr“ drohe. Dennoch nährt die Opposition, die seit Jahren eine parlamentarische Monarchie an Stelle der herrschenden Präsidentialmonarchie fordert, seither Hoffnungen auf einen politischen Frühling.

„Genau die Blockierung der Demokratisierung führt zur Implosion“, argumentiert Muhammed El- Yazghi. „In Algerien wurde dreißig Jahre lang alles verfälscht, alles hing von den Machtträgern ab. Als sie dann schließlich demokratisieren wollten und dem Volk sehr weitgehende Freiheiten zugestanden, hat man das Ergebnis gesehen. In Marokko hingegen ist der Pluralismus schon 30 Jahre alt, wir haben Erfahrungen damit. Deshalb fordern wir Reformen.“ Muhammed El-Yazghi ist stellvertretender Generalsekretär der größten linken Oppositionspartei, der „Sozialistischen Union der Volkskräfte“ (USFP). Mehrmals ist er im Laufe seines 55jährigen Lebens verhaftet und schwer gefoltert worden. Eine Briefbombe, deren Absender nie ermittelt wurde, hat zwei Finger einer Hand verstümmelt. Doch derselbe König, dessen Folterer El- Yazghi zu brechen versuchten, hat ihn — zusammen mit anderen Vertretern der Opposition — immer wieder zu Gesprächen und Empfängen in den Palast geladen. Die Ankündigung der Verfassungsreform erscheint so auch als Zugeständnis an die Opposition.

Daß die Reform tiefgreifend sein wird, glaubt El-Yazghi nicht. Der König wird sie ausarbeiten und danach von den Marokkanern absegnen lassen. Kaum jemand glaubt, daß danach der Premierminister und die Minister von der Mehrheitspartei und nicht wie bislang vom König bestimmt werden. Wie überhaupt die Ankündigung des Königs nicht nur Hoffnungen, sondern auch Skepsis ausgelöst hat. „Man muß das Volk beruhigen, indem man ihm alle notwendigen Garantien anbietet, was die Respektierung seines Willens angeht. Das tut sich in den Urnen kund und im Aufbau wirklich repräsentativer und glaubwürdiger Institutionen...“, warnt vorsichtig Muhammed Idrissi Kaituni, Herausgeber der Tageszeitung 'L'Opinion‘, des Blatts der konservativ-nationalistischen Partei „Istiqlal“. Die Anspielung bezieht sich nicht nur auf die Willkür, mit der der marokkanische Herrscher bislang Ministerposten verteilt, sondern auch auf die Wahlfälschung, die bislang sämtliche Urnengänge gekennzeichnet hat. Viel deutlicher will und darf man freilich nicht werden — die in der Verfassung verankerte Pressefreiheit hin oder her.

Loyale Opposition

Jahrzehntelang sind Marokkos Oppositionelle immer wieder verhaftet und gefoltert worden, viele sind verschwunden, andere unter der Folter oder in den tristen Gefängnissen gestorben. Das vor kurzem abgerissene Gefängnis Tasmamart hat einen traurigen Ruf erlangt. Noch heute sitzen zahlreiche Gewerkschafter und Oppositionelle im Knast. Dennoch sind die meisten Oppositionellen im Land geblieben. „Hier hat es nie die Aussichtslosigkeit gegeben wie in anderen Ländern“, erklärt Khalid Dschamai, Chefredakteur von 'L'Opinion‘, das Phänomen. Auch Dschamai hat sein Teil an Haft und Folter hinter sich. Heute lebt er in Suissi, dem Nobelstadtteil von Rabat, eigentlich eine Siedlung für Militärs. „Trotz der Repression hat es immer auch Raum für Opposition gegeben, mal mehr, mal weniger“, führt er aus. „Hier in Marokko gibt es viel mehr politische Bewegung als in anderen arabischen Ländern. Und es gibt — trotz aller Einschränkungen — mehr Freiheiten. In welchem anderen arabischen Land findet man diese Vielfalt an in- und ausländischer Presse?“

Tatsächlich sind die Zeitungskioske vollgestopft. Rechte und linke Opposition verfügen über eine breite Palette an arabisch- und französischsprachigen Zeitungen aus dem In- und Ausland, in denen auch Kritik geübt wird. Der König und die Frage der Westsahara dürfen freilich nicht angetastet werden, ebenso wie der Islam. So ist nicht nur das Buch Unser Freund, der König von Gilles Perrault verboten, sondern auch das neueste Werk der Soziologin Fatima Mernissi, in dem sie den Islam gegen die radikalen Islamisten verteidigt — offenbar nicht orthodox genug.

Auch wenn die Freiräume je nach politischer Konjunktur eingeschränkt oder ausgeweitet werden — sie haben doch zu einer bedingten Loyalität der Opposition zum König geführt.

Volksaufstände

Auch die Ereignisse in Algerien haben die Opposition in ihrer Ansicht bestärkt, daß der marokkanische Weg der bessere ist. „Wir wollen, daß es eine friedliche Demokratisierung gibt, die auf der Übereinkunft und dem Dialog innerhalb der Gesellschaft beruht, um eben solche schwerwiegenden Ereignisse wie in Algerien zu vermeiden, die immer zu autoritären, faschistischen Regimes führen“, versichert El-Yazghi. Ein wichtiger Grund hierfür ist freilich auch, daß die Opposition bislang von allen Volksaufständen ebenso überrascht wurde wie das Regime selbst. Die Gewerkschaft ist zwar in der Arbeiterschaft verankert, doch das Heer der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten, der Analphabeten und Gläubigen wird von niemandem vertreten.

Zwar nennt sich der König „Herrscher der Gläubigen“, und der Islam ist als Staatsreligion in der Verfassung verankert. Zwar führt der König während des Ramadan religiöse Gespräche mit geistlichen Würdenträgern aus dem In- und Ausland, und seine Polizei sorgt dafür, daß die Gläubigen während der Fastenzeit nicht öffentlich essen. Doch während des Golfkriegs hat König Hassan zu den westlichen Verbündeten gehalten, seine Untertanen zu Saddam Hussein.

„Es gibt in Marokko seit mehreren Jahren eine Stärkung des Islam“, versichert ein Reisender. „Vor zehn Jahren hat die Hälfte der Bevölkerung — zumindest zu Hause — nicht gefastet. Heute wird jemand sehr schlecht angesehen, der das Fasten bricht.“ Daß die Regierung den Islamisten nicht traut, zeigt sich daran, daß sie ihnen gegenüber zur Repression greift — obwohl die Konjunktur zur Zeit politische Freiräume zuläßt.

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