UN-Daumenschrauben für Gaddafi

UN-Sicherheitsrat beschließt Sanktionen gegen Libyen, um Auslieferung mutmaßlicher Lockerbie-Attentäter zu erzwingen/ Luftfahrt- und Waffenembargo tritt in 13 Tagen in Kraft  ■ Aus New York M. Sprengel

Bis zum 15. April hat Libyen noch Zeit, zwei Männer auszuliefern, die nach Meinung der Vereinten Nationen für den Absturz des PanAm- Flugs 103 über Lockerbie und den Tod der 270 Fluggäste verantwortlich sind. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am Dienstag mit zehn Stimmen bei fünf Enthaltungen eine Resolution, wonach automatisch Sanktionen in Kraft treten, wenn Muammar el-Gaddafi die zwei mutmaßlichen Attentäter nicht bis zu dem gesetzten Termin den amerikanischen oder britischen Behörden übergibt.

In diesem Fall soll der Flugverkehr von und nach Libyen abgebrochen sowie Flugzeuge und Ersatzteile nicht mehr geliefert werden. Büros der libyschen Fluggesellschaft im Ausland müssen geschlossen werden. Ferner ist künftig allen UN- Mitgliedern der Verkauf von Waffen an Libyen verboten, und sie sind aufgerufen, ihre diplomatischen Beziehungen zu dem nordafrikanischen Staat zu beschränken. Die Zahl libyscher Diplomaten im Ausland soll reduziert und die Bewegungsfreiheit der verbliebenen libyschen Emmissäre eingeschränkt werden. Ferner sieht die Resolution Entschädigungszahlungen an die Angehörigen der Opfer des Lockerbie-Anschlages und der 171 Opfer eines Attentats auf ein französisches Passagierflugzeug über dem Tschad vor, das ebenfalls auf das Konto Libyens gehen soll. Nahost-Experten in den USA halten die beschlossenen Maßnahmen dennoch für wenig effektiv, da das Hauptexportgut Libyens, Öl, nicht betroffen wird.

In der Resolution heißt es weiter, Libyen müsse „mit konkreten Aktionen“ beweisen, daß es künftig nicht mehr im internationalen Terrorismus mitmischt. Was exakt darunter zu verstehen ist, wird nicht erläutert. Nach US-Definition fällt darunter wohl auch die Schließung von fünf angeblichen Terroristen-Camps auf libyschem Territorium. Ob Libyen dem nachkommt, soll nach US-Vorstellungen — ähnlich wie jetzt im Irak — von einer UN-Kommission vor Ort überprüft werden.

Nachdem vor allem die US-Regierung direkt nach dem Bombenattentat auf die PanAm-Maschine im Dezember 1988 Iran und Syrien als Drahtzieher ausgemacht hatte, legte das US-Justizministerium im vergangenen November einen Bericht vor, der zwei libysche Geheimdienstler, Abdel Basset Ali Megrahi und Lamen Khalifa Fhimah, als Hauptverdächtige nennt. Im Januar forderte die UN Libyen auf, dem Auslieferungsgesuch der USA und Großbritanniens nachzukommen. Libyen stellt sich auf den Standpunkt, die beiden Terroristen sollten vor einem libyschen Gericht abgeurteilt werden. Es hatte deshalb in der vergangenen Woche den Internatialen Gerichtshof in Den Haag um Hilfe angerufen. Er solle die „illegale und willkürliche Erpressung“ der USA und Großbritanniens und damit die angedrohten UN-Sanktionen stoppen. Jene fünf UN-Mitglieder, die sich bei der Abstimmung über die Sanktionen enthielten — China, Marokko, Kapverden, Indien und Zimbabwe —, stießen in dasselbe Horn und verlangten, das Votum bis nach einer Entscheidung des Gerichtshofs zu verschieben.

Kritik der arabischen Staaten am Sicherheitsrat

Kairo/Berlin (taz/wps/afp) — Während der britische Außenminister Douglas Hurd gestern den Sanktionsbeschluß der UNO als wichtigen „Sieg für uns alle in der internationalen Gemeinschaft, die den internationalen Terrorismus bekämpfen“, feierte, traf das Votum in den arabischen Staaten auf Kritik. Der Vertreter des proamerikanischen Marokko — das einzige arabische Land, das derzeit einen Sitz im Sicherheitsrat hat — enthielt sich bei der Abstimmung der Stimme. Zuvor hatten Jordanien, das zur Zeit turnusgemäß die arabische Gruppe innerhalb der UNO anführt, und Mauretanien gegen den Beschluß protestiert. Beide forderten, der Sicherheitsrat solle zunächst eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes abwarten. Aus Ägypten war zu vernehmen, daß die Regierung in Kairo weiterhin auf eine Kompromißlösung mit Libyen hinarbeite. Von einem Embargo wäre Ägypten, das enge Handelsbeziehungen zum Nachbarland unterhält, stark betroffen. Tausende von Ägyptern verdienen ihren Lebensunterhalt in Libyen. Bei einem Treffen der vier arabischen Verhandlungspartner der arabisch-israelischen Nahost-Gespräche, Libanon, Syrien, Jordanien, und der Palästinenser, in Beirut wurde gestern das Thema Libyen kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt. Der syrische Staatschef Hafis el-Assad hob die arabische Solidarität mit Libyen hervor. Sein Land werde sich nicht an der Front gegen das „Bruderland“ beteiligen. Vor allem die als prowestlich geltenden arabischen Regierungen befürchten, daß der internationale Druck auf Libyen in der arabischen öffentlichen Meinung Gaddafi Sympathie einbringen könnte. Ein Vertreter der Arabischen Liga erklärte: „Boykotte und Blockaden werden zu mehr Extremismus und mehr islamischem Fundamentalismus führen.“ taud