Csepel-Auto fährt in den Ruin

In Ungarns Schwerindustriekomplex werden Fahrgestelle produziert, die niemand mehr kaufen will  ■ Aus Szigethalom K. Verseck

Während der letzten zwei Jahre hat sich auf der Csepel-Insel im Süden von Budapest mehr geändert als in vier Jahrzehnten Realsozialismus. Es ist freundlicher und lebhafter geworden. Überall wurden Cafés, Restaurants, Blumen- und Gemüseläden eröffnet, sogar die großen Neubaugebiete im nördlichen Teil der Donauinsel haben Farbtupfen bekommen. Im „Roten Csepel“, wo die Sowjetarmee während der Revolution 1956 auf besonders harten Widerstand stieß, sieht man trotzdem schwarz. Von den Csepel-Maschinenbetrieben bis zum Pestviadeker Flugzeugwerk gibt es auf der Insel kein größeres Staatsunternehmen, das nicht in der Krise steckt.

Eine der Firmen, die es besonders hart getroffen hat, ist der Fahrzeugchassis-Hersteller Csepel-Auto. Paradoxerweise brachte das Unternehmen nach vierzig Jahren Planwirtschaft nicht die schlechtesten Voraussetzungen mit, um auch in einer Marktwirtschaft zu überleben. Doch was selbst der Realsozialismus nicht schaffte, scheint der Antall-Regierung zu gelingen: Wenn Csepel- Auto in den nächsten Monaten liquidiert werden sollte, dann nicht zuletzt aufgrund ökonomischer Fehlentscheidungen der vom Kabinett beauftragten Sanierungsexperten.

Fast zwanzig Jahre lang war das Unternehmen der wichtigste Zulieferer des Busherstellers Ikarus, für den im Schnitt jährlich 10-40.000 Chassis produziert wurden. Hauptabsatzmarkt der preiswerten und robusten Busse waren die sozialistischen Bruderländer. Allein die Sowjetunion orderte vor 1990 pro Jahr bis zu 60 Prozent der Ikarus/Csepel- Produktion. Der erste große Einbruch kam für die beiden Unternehmen nach Auflösung des Comecon und der damit verbundenen Umstellung des Außenhandels auf die Dollar-Verrechnung. Der Hauptabnehmer Sowjetunion konnte die Busse nicht mehr bezahlen, Ikarus mußte seine Lieferungen vorläufig einstellen und geriet in massive Zahlungsschwierigkeiten.

Um die Fahrzeugindustrie des Landes zu retten, beauftragte die ungarische Regierung die Sanierungs- Organisation SZSZ, seit Jahresbeginn in die Reorg AG umgewandelt, mit der Umstrukturierung der beiden Firmen. Die staatliche Vermögensagentur (AVÜ) sollte den Prozeß überwachen. Doch während Ikarus hochgepäppelt wurde, banden die Sanierer Csepel-Auto die Totenglocke um. Bei der Umstrukturierung von Ikarus im September 1991 übernahm die sowjetische Atex-Holding 30 Prozent der Aktien, 63 Prozent verblieben bei der AVÜ, den Rest teilen sich eine kanadische Holding und ungarische Eigner. In die neu gegründete Aktiengesellschaft wurden auch Schulden bei Csepel- Auto in Höhe von 3,6 Milliarden Forint (rund 77 Mio. Mark) eingebracht, die bis heute nicht zurückbezahlt wurden. Bei Ikarus hält man nämlich einen Teil der Schulden für unrechtmäßig. Der Grund: Preisstreitigkeiten für bereits gelieferte Chassis. Doch weder die SZSZ noch die AVÜ bemühten sich um eine Klärung der Schuldenfrage. Im Zuge des Preisstreites baute Ikarus eine eigene Chassis-Produktion mit einer Kapazität von 8.000 Stück pro Jahr auf — ein Schritt, der ebenfalls ohne SZSZ- und AVÜ-Einspruch geschah. Die Folgen für Csepel-Auto waren verheerend: Ikarus stornierte sämtliche Bestellungen. Nun sitzt Csepel-Auto nicht nur auf seinem eigenen Schuldenberg von 4,5 Milliarden Forint, sondern auch noch auf Lagerbeständen im Wert von zwei Milliarden Forint. Von insgesamt 3.800 Beschäftigten schickte die Verwaltung bis November 1991 erst einmal 2.000 in Zwangsurlaub; Anfang Januar wurden dann 800 Arbeiter entlassen.

Die offensichtliche Bevorzugung von Ikarus bei der gemeinsamen Sanierung nahm Gabor Kuncze, Abgeordneter der größten Oppositionspartei Bund Freier Demokraten (SZDSZ), zum Anlaß, um beim Finanzminister zu intervenieren. „Der Wert von Csepel-Auto hat sich während der Sanierung bedeutend vermindert“, erklärt Kuncze, „Regierung, Finanzminister und die Sanierungsbehörde SZSZ haben hier staatliches Vermögen verschleudert.“ Daß hinter der Angelegenheit handfeste Interessen stecken, glaubt der Parlamentarier allerdings nicht. Die SZSZ-Beauftragten hätten die wirtschaftliche Situation einfach nicht überblickt und seien auf das sowjetisch-kanadische Angebot eingegangen, ohne die Folgen für Csepel- Auto zu bedenken. Genau das, so Kuncze, werde wohl auch der staatliche Rechnungshof (ASZ) feststellen. Der geht nun der Angelegenheit nach; das Untersuchungsergebnis wird für Anfang April erwartet. Die SZSZ verweigert jegliche Auskünfte zum Fall Ikarus-Csepel, offenbar aus gutem Grund. Doch selbst wenn der Rechnungshof die von Csepel-Auto genannten Außenstände bei Ikarus als rechtmäßig anerkennen würde — aus dem Pleitesumpf wäre der Chassis-Produzent damit nicht zu ziehen. Ikarus ist als Abnehmer verloren, andere Großaufträge lassen auf sich warten. So hoffen Beschäftigte und Geschäftsleitung in Szigethalom auf das Angebot der Investment-Company Group International aus Los Angeles, die im November erklärte, sie wolle sich mit zehn Millionen Dollar zu 51 Prozent an Csepel-Auto beteiligen. Eine Entscheidung soll getroffen werden, wenn Csepel- Auto seine Vermögensbilanz fertiggestellt hat. Die Gruppe ließ jedoch verlauten, daß zur völligen Sanierung von Csepel-Auto mindestens 50 Millionen Dollar notwendig seien. Wo diese Summe herkommen soll, weiß allerdings niemand. „Aus eigener Kraft“, meint Gabor Kuncze, „wird Csepel-Auto nicht überleben.“ Ein Investor hat sich bislang nicht blicken lassen. Csaba Kosaros, von der AVÜ kommissarisch eingesetzter Generaldirektor, schmiedet trotzdem weitere Pläne. In Zukunft sollen wieder Dieselmotoren und LKW-Führerhäuser hergestellt werden. Woher der Csepel-Chef den Optimismus nimmt, bleibt sein Geheimnis. Wen man nach dem Schichtende am Werkstor auch fragt — die Antwort fällt immer gleich aus: „Die Lage ist traurig und aussichtslos.“ Kosaros selbst möchte sich über die Lage zur Zeit nicht äußern. Istvan Hangfeld, Betriebsgewerkschaftschef, scheint Auskünften zunächst nicht abgeneigt, erhält aber vom Generaldirektor einen Maulkorb. „Das Übel“, weiß er, „sind nämlich diese ewig schlechten Presseberichte.“