Wo Raps und Apfelbäume zeitgleich blühen

Wahlkampf in Baden-Württemberg: Ein in sein Wirtschaftswissen verliebter Sozialdemokrat kämpft gegen einen selbstzufriedenen Katholiken/ Bisher konnte Dieter Spöri (SPD) seinem Gegner Erwin Teufel (CDU) aber nicht gefährlich werden  ■ Aus Stuttgart CC Malzahn

Hätte der Herrgott gewollt, daß aus Erwin Teufel ein Chefkoch werden soll, dann hätte er ihm sicher etwas Gemüse in die Wiege gelegt. Mit der Kirche hat sich der Katholik eingehend beschäftigt, mit seinen Kindern hat der gestreßte Politiker schon seltener gespielt — die Küche aber war für den amtierenden Ministerpräsidenten stets fremdes Terrain.

Im vergangenen Herbst war der 52jährige Christdemokrat zu Gast in einer Talkshow des Süddeutschen Rundfunks, während der er kochen sollte. Über die Videoaufzeichnung dieser Sendung amüsiert sich die politische Klasse Baden-Württembergs noch heute. „Solche Gurken habe ich ja noch nie gesehen!“ wunderte sich der Konservative, als ihm der Chef de cuisine eine Zucchini zum rädeln hinlegte.

Auch sein anschließender Versuch, die südländische Frucht mit einem Kartoffelschäler in feine Scheiben zu schneiden, erheiterte das Publikum. Peinlich war Teufel der öffentliche Fehlgriff nicht. „Mir esset Spätzle und Schäufele!“ verkündete der Mann, der es gern hat, wenn man ihn einen Wertkonservativen nennt.

Bescheiden, belesen und bodenständig gibt sich der Nachfolger von Weltenbummler Lothar Späth, dem seine Reisefreudigkeit zum Verhängnis wurde. Unter der Woche haust Teufel in einem 20 Quadratmeter kleinen Zimmer eines katholischen Spitals in Stuttgart. „Ich brauch doch kaum Platz hier!“ begründet der Regierungschef seine spartanische Unterkunft. Ein Bett zum Schlafen, ein Stuhl für die Kleider, ein Tisch, um die Zeitungen abzulegen - das savoir vivre eines Oskar Lafontaine, „dem wir Schwaben seinen Leibkoch bezahlen müssen“, ist nicht Teufels Sache.

Am Wochenende fährt er mit der Bahn heim zu Frau und Kindern ins Eigenheim nach Spaichingen. „Ein Mann wie unser Land“ lautet denn auch die Hauptwahlkampfparole der CDU. Der Verdacht, hier sei vom Reklameslogan einer Freiburger Brauerei („Ein Bier wie unser Land!“) abgekupfert worden, weisen die CDU-Wahlkämpfer weit von sich. Im einen Fall werde schließlich für Bier, im anderen um Wählerstimmen geworben, konterte der baden- württembergische CDU-Generalsekretär Volker Kauder auf Anfrage. Ob Plagiat oder nicht: Um seine Zukunft als Ministerpräsident muß sich der Zucchiniverächter Erwin Teufel am kommenden Sonntag keine großen Sorgen machen. Sein sozialdemokratischer Herausforderer Dieter Spöri dagegen schon. Dem assoziierten Mitglied der SPD-Toskana- Fraktion sind Zucchinis zwar geläufig. Sein Problem: Wenn er sie anfaßt, verwandeln sie sich in Gurken.

Baden-Württemberg, oft verharmlosend „Ländle“ genannt, hat die niedrigste Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik. Die über dem Bundesdurchschnitt liegenden Steuereinnahmen Baden-Württembergs betragen jährlich etwa zehn Milliarden Mark. Diese Summe mußte der Bund bisher jedes Jahr aufbringen, um Berlin zu alimentieren. Dieter Spöri fürchtet, daß die blühende Wirtschaft seines Landes durch Erwin Teufel in Gefahr gebracht wird. Deswegen hängen nun überall Plakate mit Spöris Abbild, auf denen der 48jährige sein schiefes Kennedy- Grinsen aufgesetzt hat: „Von Wirtschaft versteht er mehr“, wird in großen Lettern behauptet.

Die Gerechtigkeitsthemen kommen zu spät

Das kann durchaus sein — nur glaubt das niemand. Eine vom Stuttgarter Staatsministerium in Auftrag gegebene Studie ergab schon vor drei Monaten, daß das Wahlvolk die größere wirtschaftliche Kompetenz noch immer bei der CDU vermutet. Daran hat der Abgang vom „Cleverle“ Lothar Späth nichts geändert. Den Sozialdemokraten trauen die Befragten vor allem in der Sozial- und Wohnungspolitik mehr Fachwissen zu.

Diese „harten Gerechtigkeitsthemen“ (Spöri) versteckte die SPD aber aus unerfindlichen Gründen zu Beginn des Wahlkampfes. Erst jetzt, im Endspurt, versuchen die Sozialdemokraten mit diesen Themen Stimmen zu holen. Doch der SPD- Dauerbrenner „Miet- und Wohnungsbau“ kommt nach Ansicht von CDU-Wahlmanagern „viel zu spät“. Ein Mitarbeiter des CDU-Ministerpräsidenten: „Wir waren heilfroh, als wir merkten, daß Spöri nur noch auf der Wirtschaftsgeschichte rumreitet.“

Nach der letzten, natürlich mit Vorsicht zu genießenden Wahlumfrage des Allensbach-Instituts schrumpft die Wählerzahl der SPD auf 30,7Prozent, die CDU verliert ihre absolute Mehrheit. Die rechtsradikalen „Republikaner“ liegen bei fast fünf Prozent, die FDP wäre mit acht Prozent sicher im Landtag, die Grünen kommen fast unverändert auf 7,2Prozent. Spöri bezeichnete die Umfrage als „Gefälligkeitsgutachten“.

Gefälligkeit spielt bei solchen Umfragen häufig eine Rolle. Seit die Zahlen veröffentlicht wurden, herrscht merkwürdige Stille auf Pressekonferenzen oder halböffentlichen Auftritten des SPD-Spitzenkandidaten, wenn er behauptet, seine Partei befände sich „auf der Überholspur“. Die Ruhe kehrt nicht deshalb ein, weil man Spöri glaubt, sondern weil man schon jetzt Mitleid mit diesem Verlierer hat.

Weder Fisch noch Fleisch

In der Imagebildung war Erwin Teufel erfolgreicher als sein Herausforderer — selbst wenn sich das Renommee des Katholiken darauf beschränken sollte, ein Mann wie unser Bier zu sein. Spöri ist weder Fisch noch Fleisch. Selbst beim einzigen politischen Thema, das im baden-württembergischen Wahlkampf eine Rolle spielt — Asyl — blieb er uneindeutig. Zwar warf er Teufel auf einer Diskussionsveranstaltung in Stuttgart vor, für das aufgeheizte Klima mitverantwortlich zu sein. Die Angriffe von Teufel, die SPD wäre für das „Asylantenproblem“ verantwortlich, parierte Spöri aber nicht mit einer antirassistisch gefärbten Analyse der CDU-Sozialpolitik — wie es der Spitzenkandidat der Grünen tat —, sondern beließ es bei einer sibyllinischen Bemerkung: In dieser Angelegenheit — der Asylfrage — seien sich SPD und CDU „schon unheimlich nahegekommen“. Einige Hundert Besucher der schwäbischen Elefantenrunde fragten sich, was Spöri nun eigentlich sagen wollte. Will er, wie sein Genosse Kronawitter, das Grundgesetz ändern? Oder wollte er einfach nur das Thema beenden? Den vierkantigen Dickschädel des CDU-Ministerpräsidenten hat man auf den riesigen Wahlplakaten vor ein blühendes Rapsfeld drapiert. Daß Erwin Teufels Konterfei auf diesen Plakaten wirkt wie ein billiges Heiligenbildchen, liegt daran, daß es mitnichten ein Foto ist, sondern eine Computeranimation. Computer können Wunder vollbringen: Zum Beispiel Raps und Apfelbäume gleichzeitig zum Blühen bringen. Dieses, aus biologischer Sicht unmögliche Naturereignis, zeigt das Wahlplakat. Genau diese Chuzpe ist es, die den Sozialdemokraten in Baden-Württemberg in diesem Wahlkampf gefehlt hat. Nun können sie nur noch auf ein zweites Wunder hoffen: Vielleicht auf Gurken, die sich wieder in Zucchinis verwandeln.