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: Im Genre-Dschungel

■ Berlin-Krimis von Yaak Karsunke und Jürgen Petschull

Das Genre lebt von ewigen Wahrheiten: Private eyes trinken Highballs, tragen Trenchcoats und schleppen ihre Einsamkeit nebst einer Rolle Münzen durch die Straßen wie Totschläger. Schon immer duschen sie gern kalt und essen morgens weiche Eier.

Im Genre ist auch das Normale unglaublich fremd. Bert Volmer in Yaak Karsunkes Krimi Toter Mann ist zwar »nur« Rundfunkredakteur, aber wie seine amerikanischen Vorfahren ein verirrter Ritter. Als solcher jagt er einen Erpresser und gerät in eine Geschichte, die 1987 in Berlin (West) spielt. Aus dem Krimi ist inzwischen ein historischer Roman geworden, und beim Lesen flimmert es in der Erinnerung. War das damals in Berlin, oder neulich bei Chandler in Los Angeles: Ein Präsident mit grinsender First Lady zu Besuch, ein abgesperrter Stadtteil, ein Sommer, der ins Wasser fällt?

Der »blaßblonde Regierende Bürgermeister« führt den schmierigen Charme der Stadt vor, die Fluchthelfer der Jungen Union beschaffen Zwangsarbeiterinnen für Zehlendorfer Bordelle, die Luden sind schäbig. Die Frauen heißen Vera und sind zu blond oder Hausmeisterinnen. Es wird gedungen, gedroht, gehauen, und weil das Buch von Yaak Karsunke ist, übt Volmar wie Sonny Liston im Keller an der Maisbirne rechte Haken und uppercuts. Dabei denkt er daran, wie 1967 die revolutionären Kommilitonen beim Training lernten, daß Schattenboxen aus China kommt: »Damals hatte das besonders die maoistischen Genossen begeistert.«

Ein sanfter Blick zurück in eine andere Vorzeit, mit einer Anmut, wie sie nur unmerkliches Altern verleiht: mit solchen Leuten tränke man gerne abends viel. Nur zwei Jahre später spielt Jürgen Petschulls Herbst der Amateure. Im Sommer 89 beschließt der Top- Mann der amerikanischen Star- Wars-Forschung, Peter Rosenblatt, in die Sowjetunion überzulaufen — eine Taube, der ihr Job als Falke zu hart wurde. Der CIA jagt ihn, ein Cuxhavener Kripomann hilft suchen, und im kalten Ost-Berlin steigt auch der KGB in seine Stiefel, das Täubchen zu fangen. Es könnte spannend werden, aber leider sind alle viel zu gut und eigentlich sowieso gegen den Krieg, jetzt, am Ende der Eiszeit. Damit aber auch wirkliche Böse vorkommen, begleicht der KGB-Mann eine private Rechnung mit zwei alten Nazis und endet als ehrliche Haut tragisch — ohne Kopf.

Petschull hat genau recherchiert. Als Journalist beim 'Stern‘ ist er ja schon von Berufs wegen der Wahrheit verpflichtet, und er versichert denn auch auf dem Vorblatt: »Die Handlung ist der Wirklichkeit nachempfunden. Die Hauptpersonen existieren tatsächlich.« Für die Realität hat Petschull überhaupt ein akribisches Gespür: auf zufällig gerade flimmernden Bildschirmen geht es mit der DDR zu Ende, ruft ein Volk endlos: »Wir sind!« Die Choreographie läßt nichts aus, und so kommt der Höhepunkt natürlich am 9. November — am Brandenburger Tor und in der Gethsemanekirche. Schafft es Rosenblatt, im sich auflösenden Osten zu bleiben?

In ein paar Jahren ist das vielleicht spannende fiction — wenn längst vergessen ist, wie es wirklich war, damals in Berlin, 1989. Was ich aber vorher sicher vergessen möchte, ist ein Buch, in dem der jüdische Verräter seine Tat begründet wie ein Antisemit: (»Ich habe kein Land und keine Heimat. Ich bin Jude.«), ein Buch, das Frauen nur als Klischees kennt: Hier ist es eine ebenso lüsterne wie emanzipierte und rothaarige (!) Journalistin, die zum Objekt feuchtträumender Männer wird — ein klassischer Fall für Klaus Theweleits Studie über Männerphantasien. Wenn der Kommissar mit Lederkrawatte die Redakteurin bei der Arbeit beäugt, sieht er: »Die roten Lippen glänzten feucht im Scheinwerferlicht.«

Jede Kollegin wird es dem Berufsschreiber Petschull danken, wenn er »Brüste in eine Bluse aus lachsfarbener Seide hüpfen« läßt, denn die Handlung folgt ja der Wirklichkeit, und beim Beischlaf dürfen also »bunte Blitze zucken hinter seinen geschlossenen Augenlidern«. Geschmack kann man halt nicht kaufen, auch nicht als 'Stern‘-Reporter. Hans-Joachim Neubauer

Yaak Karsunke: Toter Mann Berlin, Rotbuch-Verlag, 193 Seiten, 14 DM.

Jürgen Petschull: Der Herbst der Amateure München, Üiper, 412 Seiten, geb. 39.80 DM.