Vorlauf: Blues mit Otto
■ "Amaurose", 22.30Uhr, West3
Amaurose von Dieter Funk ist der erste von vier Filmen, mit denen der WDR seine im letzten Jahr begonnene Reihe Avanti Debutanti (ahäm, nun ja, der Titel...) fortsetzt. Ein Unternehmen, das in erster Linie jungen Filmemachern die Chance eröffnen will, durch Co-Produktionen ihre ersten Lang-Filme zu drehen. Auch wenn die Ergebnisse bislang nicht unbedingt Oskar-reif waren, sprangen dabei doch immerhin so überzeugende Debüts wie Claudia Prietzels Die Blattlaus oder Solinger Rudi von Dietmar Klein heraus.
Amaurose nun ist die Geschichte eines blinden Einzelängers, der in einem süddeutschen Provinznest eine kleine Druckerei betreibt. Bevor er sich dort niederließ, bildete er mit seinem Freund Fritz ein Blues-Duo. Sie tingelten durch die Lande und landeten irgendwann in Mailand. Fritz verliebte sich in eine Sängerin und blieb; Amaurose, genannt Amo, fuhr allein zurück nach Deutschland. Bei ihrem Abschied gelobten sie, auf den Tag genau zwanzig Jahre später zu einem Konzert wieder zusammenzukommen.
Diesem Tag hat Amo lange entgegengefiebert. Als es soweit ist, mietet der Blinde einen Konzertsaal an, zwängt sich in sein gestärktes Rüschenhemd und wartet auf seinen Freund. Doch Fritz taucht nicht auf. So setzt sich Amo in den Zug nach Mailand, um ihn zu suchen. Amaurose ist ein kleiner, unspektakulärer Film, der weder mit gantenbeinschem Tiefsinn noch mit dümmlicher Behinderten-Poesie (Der Blinde als der wahrhaft Sehende et cetera) daherkommt.
Die Paradoxie, filmische Entsprechungen für die eigentümlichen Wahrnehmungsweisen eines Blinden zu finden, löst Dieter Funk in erster Linie durch eine Hervorhebung des Tons und ein eher gemächliches Erzähltempo. Das fällt mal überzeugend aus — wenn etwa Huddie Ledbetters Blues Goodnight Irene oder schlicht ein tropfender Wasserhahn eine Szene beherrscht — ist aber auch nicht immer frei von Manierismen. Und womöglich würde der Film auch gänzlich von der Gewichtigkeit seines Themas (Blindheit — Sehen — Kino) erdrückt, gäbe es da nicht einen Otto Sander in der Titelrolle. Wie er da unprätentiös den Blinden mimt, linkisch durch Mailand stolpert, mal unwirsch raunzt, mal zärtlich säuselt oder den Kaffee in betont hohem Bogen in seine Tasse gießt, verleiht der Figur eine ironische Distanz, die den Film wohltuend vor einer „sensiblen Problemstudie“ bewahrt.
Daß er in einigen Gesangseinlagen ein Organ erklingen läßt, als bestehe seine Ahnenreihe aus unterdrückten Baumwollpflückern, tut ein übriges. Einzig die Frage, warum blinde Musiker vorwiegend im Blues zu finden sind, vermag auch er nicht zu beantworten. Reinhard Lüke
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