Jenseits der Opferrolle

■ Türkische Kulturvereine kauften in Ulm den –Spiegel' aus dem Verkehr

Jenseits der Opferrolle Türkische Kulturvereine kauften in Ulm den 'Spiegel‘ aus dem Verkehr

Betriebswirtschaftlich gesehen hält sich der Schaden in Grenzen — für alle Seiten. Die Mitglieder oder Anhänger türkisch-islamischer Kulturvereine mußten ein paar tausend Mark verschmerzen, so manchem Ulmer blieb die jüngste Ausgabe des 'Spiegel‘ versagt — und letzterer macht sogar noch einen Schnitt, weil andere für ihn kostenlos PR betreiben. Politisch gesehen stellt sich die Sache schwieriger dar: Türkische Kulturvereine versuchen, ein Nachrichtenmagazin wegzukaufen, weil ihnen ein Artikel über das Vorgehen der türkischen Militärs gegen die Kurden in ihrem Land nicht paßt, und kündigen an, die Exemplare öffentlich zu verbrennen. Unterdessen verschlechtern sich auch die Beziehungen zwischen türkischen und kurdischen Immigranten, die ohnehin noch nie sehr harmonisch waren.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten für die versammelte Gemeinde Ausländerfreunde: Entweder erklärt man den Konflikt zur internen Angelegenheit zwischen türkischen und kurdischen Immigranten und hält sich heraus. Oder man mischt sich ein — nicht nur, weil das Thema dank Bonner Panzerlieferungen an Ankara auch ein deutsches ist. Oder die Verfechter der multikulturellen Gesellschaft mischen sich ein und beginnen jenen interkulturellen Dialog, den sie sich bislang selbst verbaut hatten; weil sie vom türkischen Imam bis zum äthiopischen Asylsuchenden alle in einen Topf warfen. Es gab nur noch den Ausländer schlechthin — als Opfer des Ausländergesetzes, der Polizei, der Rechten et cetera. Soviel linker Reduktionismus hatte über Jahre hinweg den Vorteil, die eigene Identität als Ausländerfreund kräftig zu pflegen, weil man mit der als Inländer Schwierigkeiten hatte.

Jetzt im Konflikt zwischen türkischen und kurdischen Immigranten in der Bundesrepublik stellt sich heraus, daß die Mündel der Ausländerfreunde handelnde Subjekte mit höchst unterschiedlichen politischen Ansichten und Strategien sind. Bei einigen gehört das Aufkaufen von unliebsamen Zeitschriften — oder gar das öffentliche Verbrennen dieser Publikationen — offensichtlich dazu. Das allein bietet schon genug Stoff für eine lebhafte Diskussion zwischen Vertretern eben jener Kulturvereine, kurdischen Immigranten und deutschen Multi-Kulti-Fans über den Umgang mit Zeitungspapier und unbequemen Informationen. Damit nicht genug: Wenn zum Beispiel die Vertreter mehrerer maßgeblicher türkischer Immigrantenorganisationen in einer öffentlichen Erklärung fordern, die Bundesrepublik müsse wieder Waffen in die Türkei liefern, dann mag man das für empörend halten. Aber es ist eine Aufforderung zur öffentlichen Diskussion an die Inländer. Eine Aufforderung zu Podiumsdiskussionen, Debattenbeiträgen und Streitgesprächen — ob auf dem Marktplatz in Ulm oder sonstwo in der Republik. Andrea Böhm