Lord Carrington bleibt optimistisch

Jugoslawische Republiken wollen wirtschaftliche Zusammenarbeit verbessern  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Brüssel (taz) — Nennenswerte Fortschritte“ habe es gegeben, so der Jugoslawien-Beauftragte der EG, „aber keine konkreten Ergebnisse“. Dennoch gab sich Lord Carrington zum Abschluß der 11. EG-Friedenskonferenz für Jugoslawien am Mittwoch abend in Brüssel zuversichtlich. Immerhin beschlossen die Präsidenten der sechs bisherigen Teilrepubliken Jugoslawiens, wirtschaftlich wieder enger zusammenzuarbeiten. Alle Beschränkungen, die einer Wiederbelebung der durch den Bürgerkrieg erschütterten Wirtschaft im Wege stünden, sollen aufgehoben werden.

Im Detail wurde beschlossen, nicht nur die seit dem Zerfall Jugoslawiens errichteten Handelsschranken zwischen den Republiken, sondern auch die Beschränkungen für Warentransporte aufzuheben. Ölpipelines und Stromnetz sollen wieder grenzübergreifend in Betrieb genommen werden. Die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatorte soll garantiert werden.

Drei Kantone für Bosnien-Herzegowina

Andere EG-Diplomaten in Brüssel äußerten sich weit skeptischer als Lord Carrington: Der Beschluß sei lediglich eine Absichtserklärung. Viele Fragen blieben auf der Konferenz unbeantwortet, etwa wer die Nachfolge des Staates Jugoslawien antritt oder wie das Staatserbe aufgeteilt werden soll. Serbien und Montenegro betrachten sich als die Alleinerben Jugoslawiens. Die anderen Republiken verlangen dagegen, daß das Staatseigentum auf alle sechs Republiken aufgeteilt wird. Dies war laut Carrington das „delikateste Problem“ der Konferenz. Auch die Quoten der einzelnen Republiken beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und was aus Jugoslawiens Sitz bei der UNO wird, blieben weiterhin offen.

Am Mittwoch morgen beschlossen die in Brüssel anwesenden Vertreter der Moslems, Serben und Kroaten aus Bosnien-Herzegowina die Bildung von Kantonen für die drei Volksgruppen nach Schweizer Vorbild. Ende nächster Woche sollen die Grenzen dieser Kantone festgelegt und Garantien für die Rechte der Minderheiten beschlossen werden. Dieser Beschluß könne die Anerkennung Bosniens durch die EG erleichtern, kommentierten EG-Diplomaten. Serbiens Präsident Slobodan Milosevic forderte erneut die Aufhebung der „unfairen“ EG-Wirtschaftssanktionen gegen sein Land. Diesem Wunsch werden die EG-Außenminister bei ihrem Treffen in Luxemburg am Montag wohl nicht nachkommen. EG-Ratspräsident Portugal will jedoch bis dahin die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die EG und die USA Bosnien- Herzegowina und Mazedonien anerkennen. Portugals Außenminister Joao de Deus Pinheiro sprach am Rande der Konferenz mit seinem griechischen Amtskollegen Antonis Samaras, um dessen Vorbehalte gegen eine Anerkennung Mazedoniens auszuräumen. Der serbische Vertreter Bosniens, Radovan Karadzic, warnte dagegen die EG vor übereilten Schritten: „Die Europäische Gemeinschaft sollte die Anerkennung nicht überstürzen. Dies würde nur zu Chaos führen.“

Weitere Kämpfe in Kroatien und Bosnien

Unterdessen melden die Nachrichtenagenturen neue Zusammenstöße aus den Krisengebieten Kroatiens. In der Nacht zum Donnerstag sei es erneut zu zahlreichen Verletzungen des Waffenstillstands gekommen. In der westslawonischen Stadt Nova Gradiska wurde Großalarm ausgelöst, als die jugoslawische Bundesarmee kroatische Stellungen und Wohnviertel angriff. In Ostslawonien habe die jugoslawische Bundesarmee kroatische Einheiten in der Nacht „provoziert“ und Stellungen um die Großstadt Osijek, um Vinkovci und Djakovo mit schwerer Artillerie beschossen, berichtet 'afp'. 'dpa‘ meldete auch aus der umkämpften Stadt Bjeljina Gefechte zwischen Moslems und Serben, bei denen es mehrere Tote und Verwundete gegeben habe. Ein Großteil der Bewohner habe die Stadt verlassen.

Im ganzen Norden Bosnien-Herzegowinas, wo sich kroatische und moslemische Milizionäre sowie serbische Kämpfer Gefechte liefern, setzte eine Fluchtwelle ein. Der Leiter der UN-Truppen für Kroatien (UNPROFOR), General Satish Nambiar, erklärte, die Lage in Bosnien-Herzegowina könne die Arbeit der Blauhelme behindern. „Wir werden unsere Mission fortsetzen“, versicherte Nambiar am Donnerstag in Belgrad. Er stehe in Kontakt zur bosnischen Führung in Sarajevo, wo sich auch das Hauptquartier der UNPROFOR befindet. Sein Auftrag erstrecke sich aber nicht auf das Gebiet Bosnien-Herzegowinas, unterstrich Nambiar. Dort kamen bei ethnisch bedingten Zusammenstößen bereits über hundert Menschen ums Leben. Mehrere tausend Menschen flohen nach Angaben des Belgrader Fernsehens je nach ihrer Nationalität nach Serbien oder Kroatien. Viele hätten sich auch in bislang ruhige Gegenden Bosnien-Herzegowinas gerettet.

Die Angst der Menschen wurde durch Berichte über heftige Meinungsverschiedenheiten im bosnischen Innenministerium geschürt. Die serbischen Beamten planen demnach, ihre Arbeit aufzugeben und eine autonome serbische Polizei zu bilden. Diese soll der selbsternannten serbischen Republik in Bosnien- Herzegowina unterstellt werden. Nach dem Bericht einer Sonderkommission des bosnischen Innenministeriums sind innerhalb der Polizei zahlreiche Fälle von Veruntreuung bekannt geworden.