„Dann such' ick mir eben 'ne Braut“

18.000 mosambikanische Vertragsarbeiter kamen seit 1979 in die DDR — 800 von ihnen sind jetzt noch da/ Ihr Aufenthaltsstatus ist ungeklärt, in Afrika sehen sie keine Zukunft/ Berlin bietet ein Rückkehrer-Qualifizierungsprogramm an  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Vor ein paar Tagen besuchte Takain K. aus Friedrichshain seinen Freund Nives N. in Spindlersfeld. Das Abendessen war gut, es hätte noch Stunden gemütlich sein können. Aber kurz vor acht sprang Takain auf, er müsse nach Hause und zwar sofort, denn S-Bahnfahren am Abend sei lebensgefährlich. Der Gastgeber verstand die Botschaft, denn Takain ist tiefschwarz, kommt aus Maputo und ist einer der etwa 120 ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter, die heute noch im Ostteil Berlins leben. Und weil Takain dies auch noch eine Weile tun möchte und aus Erfahrung Angst vor auf dem Umsteigebahnhof herumlungernden Skins hat, befolgt er eine seiner selbstaufgestellten Regeln: In der Nacht bleiben Schwarze besser zu Hause.

Takain erzählt diese traurige aber ganz und gar nicht spektakuläre Geschichte auf einem Seminar des „Koordinierungs Kreises Mosambik“ (KKM), um das triste Leben der Afrikaner in den neuen Bundesländern zu veranschaulichen. Und die am Sonnabend im „Haus der Demokratie“ versammelten Afrikaner stimmen alle zu: Die selbstauferlegten Restriktionen gehören seit dem Mauerfall zum Alltag. „Wir haben Angst“, sagt Ahmet K. vom Berliner „Beratungszentrum für ausländische MitbürgerInnen“, „weil unser Blut rot und unsere Haut schwarz ist.“

Jetzt kommt eine neue Angst hinzu. Nach dem Willen des Bundesinnenminsteriums sollen die ehemaligen Vertragsarbeiter nach Ablauf der alten — zumeist auf fünf Jahre begrenzten — Arbeitsverträge Deutschland verlassen. Spätestens also 1994. In erster Linie trifft dies die Vietnamesen, von denen nach offziellen Angaben um 10.000 noch in Deutschland leben. Um eine Massenabschiebung zu verhindern gründeten die Vietnamesen deshalb im März eine bundesweite Vereinigung (vgl. taz vom 16. März).

Bei den Mosambikanern ist es noch nicht soweit. Das Berliner Treffen war der erste Versuch, die Bereitschaft zur Selbstorganisation zu sondieren. Das Problem, sagt Ahmet, sei, daß die Mosambikaner weit verstreut über die alten Bundesländer leben, kaum voneinander wissen, sehr schüchtern sind und vor allem eine Minderheit in der Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeiter darstellen. Von den 18.000 ArbeiterInnen, die bei der Selbstauflösung der DDR noch in den staatlichen Betrieben beschäftigt waren, seien gerade noch an die 800 „im kalten Land“ geblieben und nur 250 von ihnen stehen heute noch in Lohn und Brot.

Und diese wollen – trotz aller Widrigkeiten – vorerst bleiben, weil in Mosambik alles noch viel schlimmer sei als hier. Carlos, der Ex-Braunkohlearbeiter aus der Lausitz berichtete seinen Kollegen wie desolat es in der alten Heimat aussieht. Das von der Bundesregierung versprochene Reintegrationsprogramm sei nie angelaufen, weil die mosambikanische Regierung die Gelder dafür mit den Auslandschulden gegenüber der DDR verrechnet habe. Eine Demonstration der „Regressados“, der Rückkehrer, gegen diesen Millionenschwund sei im Januar in der Hauptstadt Maputo mit Gewehren und Hunden auseinandergetrieben worden. Die Rückkehrer könnten nichts anfangen mit den in der der DDR erworbenen Qualifikationen. „Was nützen hundert Kranfahrer, wenn es in ganz Mosambik nur zwei Kräne gibt“. Die Regressados würden zu Tausenden in Elendsquartieren am Stadtrat hausen, ihr aus der DDR mitgebrachter Wohlstand, wie Kassettenrekorder oder schöne Kleider, seien ihnen längt von den „Ninjas“, den Jugendbanden abgenommen worden. Das Schlimmste aber sei, sagt Carlos, „weil viele von uns mehr als zehn Jahre in Deutschland lebten, haben wir die regionalen Dialekte verlernt, den Kontakt zu den Familien verloren und sind Entwurzelte geworden.“

Das sind alles triftige Gründe vorerst in Deutschland zu bleiben, sagen die Berater des „Beratungsbüros“. Aber das ist schwierig. Laut Ausländergesetz haben die ehemaligen Vertragsarbeiter, die länger als fünf Jahre in Deutschland gelebt haben, die Möglichkeit eine befristete Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Die, die länger als acht Jahre hier arbeiteteten haben das Recht auf eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung. Weil Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble aber die Bleibezeit in Deutschland auf maximal fünf Jahre begrenzen möchte, herrscht eine Rechtsunsicherheit und die Ausländerbehörde entscheidet mal so und mal so. Takain zum Beispiel, einst Betonmischer, heute Jobber, war einer der ersten Mosambikaner, die die DDR-Regierung 1979 ins Land holte. Er hätte Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, bekam aber bei der Berliner Behörde nur eine Bewilligung bis zum 30. April. Das kann Takain einen guten Job kosten. Denn eine Baufirma aus Paderborn mit einer Nebenstelle in Gera, würde Takain einstellen, aber nur wenn der Aufenthaltsstatus langfristig gesichert ist. „Jetzt muß ick mir 'ne Braut suchen“, sagt er in akzentfreiem Berlinerisch „und für alle Fälle en Anwalt.“

Ungeklärt ist auch die Zukunft für den 26jährigen Filipo. In die DDR kam er 1987 mit dem Versprechen, Schweißer lernen zu können. Nach einer kurzen Anlernzeit beim VEB Hoch- und Tiefbau schleppte er fast drei Jahre Zementsäcke. In diesem Jahr läuft seine „offizielle“ Vertragsarbeitszeit aus. Er hat sich jetzt bei der „Koordinierungs- und Beratunsstelle für ausländische Vertragsarbeiter in Berlin“ um ein Stipendium für das sogenannte „Fachkräfteprogramm“ beworben. Aber der Haken dabei ist, daß nach einer Aufnahmeprüfung nur die Bewerber aufgenommen werden, die unterschreiben, daß sie die Kosten des Programms selbst tragen, wenn sie zwölf Monate nach Abschluß der Ausbildung immer noch in Deutschland leben. Lernen würde Filipo schon gerne, aber sich auf eine mosambikanische Perspektive festlegen — „nie und nimmer“.

„Wer diese Regeln nicht akzeptieren kann“, sagt der Leiter der Berliner Koordinierungsstelle Klaus Dünnhaupt, „braucht sich erst garnicht zu bewerben.“ Denn das Programm, finanziert von der Bundesregierung und in Berlin durchgeführt von der AGFE (ein Joint-venture von verschiedenen entwicklungspolitischen Projekten), sei nicht auf die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft, sondern auf die Chance eines Neubeginns in Mosambik zugeschnitten. Derzeit, erzählt Dünnhaupt lernen 90 Mosambikaner das Kraftfahrzeughandwerk, Schweißer oder Schlosser oder belegen die „Existenzgründerkurse“, pauken kaufmännische Kalkulation und Buchhaltung. Bei AGEF findet auch eine Individualförderung statt. Im Moment schließen gerade ein Kameraassistent und ein Jazztrompeter ihre Ausbildung ab. Das Programm sei für die Mosambikaner attraktiv, sagt Dünnhaupt, denn es berücksichtige individuelle Fähigkeiten und sei mit einer Ausbildungsvergütung von 600 Mark im Monat plus freie Unterkunft auch lukrativ. Für den nächsten Einjahreskurs, der im Herbst beginnt gäbe es über 400 Bewerbungen. „Da sieben wir gründlich, damit die Ausbildung nicht in den Wind geschossen wird.“

Herbe Kritik an diesem Fachkräfteprogramm übt hingegen der KKM. Die Ausbildung sei an den afrikanischen Notwendigkeiten vorbei konzipiert, meint Ahmet, sei nicht an spezifische Reintegrationsprojekte in Mosambik gekoppelt und nur ein „Abschiebeprogramm“ mit Niveau. „Völliger Unsinn“, widerspricht Dünnhaupt, der KKM solle lieber den verschüchterten Mosambikanern ganz direkt helfen, zum Beispiel Widersprüche bei Abschiebungen formulieren, anstatt sie als „Vehikel für einen entwicklungspolitischen Streit zu mißbrauchen“. In der Tat, räumt aber auch er ein, könnten die Förderprogramme für wenige nicht die wirtschaftliche Misere in Mosambik lösen. Und weil die Programme erst seit September vorigen Jahres laufen, gäbe es auch noch keine Erfolgskontrolle. Da das Fachkräfteprogramm, wie auch Dünnhaupt bestätigt, nur für eine „ausgewählte“ und „qualifizierte“ Minderheit die Chance einer erfolgreichen Reintegration in Mosambik bietet, und die Wartezeiten vor allem lang sind, besteht die Gefahr, daß für die in Deutschland gebliebene Mehrheit die Tage gezählt sind. Immer noch verlassen Mosambikaner die Bundesrepublik ohne irgendwelche Zusagen, an diesem Programm teilnehmen zu können. Am 11. April wollen sich deshalb die von einer möglichen Abschiebung betroffenen Mosambikaner noch einmal in Berlin treffen. Auf der Tagesordnung steht als einziger Punkt: „Was tun?“

Hilfe und Informationen für Mosambikaner: Beratungszentrum für Ausländische MitbürgerInnen e.V., Neue Bahnhofsstraße 19, 1035 Berlin.