Kohl verteidigt Waffen für Ankara

Debatte über Rüstungslieferungen an die Türkei im Bundestag/ Kohl kritisiert Özal wegen Hitler-Vergleichs/ Kritik an der kurdischen PKK, nicht aber an den Militäreinsätzen Ankaras  ■ Aus Bonn Andreas Zumach

Die Koalitionsmehrheit im Bundestag hat die von der SPD verlangte Beauftragung des Bundesrechnungshofes mit der Aufklärung der Affäre um die illegalen Panzerlieferungen in die Türkei gestern zunächst verhindert. Auch die Abstimmung über einen Entschließungsantrag der PDS für ein einjähriges Moratorium aller Rüstungsexporte wurde auf Verlangen von CDU/CSU und FDP verschoben. In einer Regierungserklärung zur Türkeipolitik Bonns vermied es Bundeskanzler Kohl, die gewalttätigen Übergriffe des türkischen Militärs ausdrücklich zu kritisieren oder die Kurden auch nur zu erwähnen. Der SPD-Fraktionschef Klose kritisierte nicht nur am Beispiel der Türkei den „zunehmend glücklosen, populistischen Schlingerkurs“ von Bundesaußenminister Genscher.

Bundeskanzler Kohl zeigte sich „besorgt“ über die „Eskalation der Gewalt im Südosten der Türkei“ und „erschüttert über die unschuldigen Opfer unter der Zivilbevölkerung“. Kohl erwähnte zwar die „terroristischen Handlungen der PKK“, und bescheinigte der Türkei „das Recht, sich dagegen mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Wehr zu setzen“. Doch weder die Kurden noch die Gewalt der türkischen Sicherheitskräfte und Militärs kamen in der Rede des Kanzlers vor.

Die Stabilität Europas sei vom Rande her bedroht, vor allem aus dem Mittelmeerraum, sagte Kohl. „Eine demokratische und in sich gefestigte Türkei kann und muß eine stabilisierende und zukunftsweisende Rolle für das Verhältnis dieser Region zu Europa einehmen.“ Deshalb habe Bonn Rüstungshilfe geleistet. Dieses Material dürfe jedoch nur im Rahmen der Nato und nicht bei innertürkischen Konflikten eingesetzt werden. „Die Bundesregierung wird mit der türkischen Regierung darüber zu sprechen haben, wie die Einhaltung dieser Vereinbarungen strikt sichergestellt werden kann.“ Kohl wies erneut die „unqualifizierten Angriffe“ des türkischen Präsidenten Turgut Özal zurück, der die Bundesrepublik wegen des Aussetzens der Rüstungshilfe mit Hitler- Deutschland verglichen hatte.

In Abwesenheit des Kanzlers und zahlreicher Koalitionsabgeordneter, die den Saal verließen [peinliche Heuchler! d.K.], schilderte die kürzlich aus den kurdischen Gebieten der Türkei zurückgekehrte PDS-Abgeordnete Jelpke ihre Erfahrungen.

Die Abstimmung über eine Hinzuziehung des Bundesrechnungshofes kann nun frühestens auf der nächsten Sitzung des Bundestages am 29. April stattfinden. Sie wurde auf Verlangen der Koalitionsmehrheit verschoben, die sich dabei — unter dem Vorwurf „zutiefst undemokratischen Verhaltens“ von SPD, PDS und Bündnis 90/Grünen — auf Paragraph 88 der Geschäftsführung des Bundestages berief. Danach muß über ein Verschiebungsbegehren nicht abgestimmt werden. Die Koalitionsfraktionen vermieden damit, in der Sache öffentlich gegen die Anträge von SPD und PDS stimmen zu müssen, die sie bei der nichtöffentlichen Sondersitzung des Haushaltsausschusses am Montag abend abgelehnt hatten. Der Ausschuß beschloß daraufhin lediglich, daß das Verteidigungsministerium bis zum 30. April einen eigenen Untersuchungsbericht über die illegale Lieferung von 19 Panzern an die Türkei erstellen muß. In der gestrigen Bundestagsdebatte wurde von Oppositionsabgeordneten die Sorge geäußert, daß ohne eine sofortige Hinzuziehung des Bundesrechnungshofes für die Aufklärung der Vorgänge wichtige Unterlagen im Ministerium beiseite geschafft werden könnten.

Die von der SPD ursprünglich geplante Einvernehmung des bisherigen Ministerialdirektors Ruppelt durch den Haushaltsausschuß fand nicht statt. Ruppelt kann nicht mehr einvernommen werden, da der inzwischen zurückgetretene Verteidigungsminister Stoltenberg ihn am Montag als den angeblich Hauptverantwortlichen für die Panzeraffäre in den Ruhestand versetzt hatte. Um zu klären, ob Ruppelt tatsächlich der Schuldige für die Lieferungen ist oder die Schuld nur auf sich genommen hat, um andere zu decken, könnte er allerdings vor einen Untersuchungsausschuß geladen werden.

Klose verlangte eine Aufklärung der Rolle des Außenministeriums sowie „möglicherweise“ des Kanzleramts in der Affäre. Klar sei, daß Genscher „unterhalb der öffentlichen Ebene“ auf die Fortsetzung der Waffenlieferungen an die Türkei gedrängt habe, sich öffentlich jedoch als Kritiker zu profilieren suche. Dies sei „Populismus“ und eine „unklare Haltung“. Das Angebot von US-Außenminister Baker, wegen der schweren Belastung des deutsch- türkischen Verhältnisses zwischen Bonn und Ankara zu vermitteln, sei ein deutlicher Beleg für die „zunehmende Glücklosigkeit“ der Außenpolitik Genschers.