I N T E R V I E W
: "Fast nur Weihrauch und Beschwörungsformeln"

■ Anwalt Klaus Selle wird von der Stadt Hannover bezahlt, um die Kritik an der Expo zu unterstützen

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Klaus Selle, Professor für Stadtentwicklung, ist einer von vier „AnwaltsplanerInnen“ in Sachen Expo Foto: Hannes Koch

Seit drei Wochen bemüht sich Klaus Selle, im Hauptberuf Professor für Stadtentwicklung an der Uni Hannover, zusammen mit drei KollegInnen, die EinwohnerInnen Hannovers über die Weltausstellung aufzuklären. Außerdem will er den KritikerInnen der Expo helfen, aus den städtischen Kassen Geld für eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit zu bekommen.

Die Personalkosten der Anwaltsplanung trägt die Stadt Hannover. Die Institution hat in Hannover Tradition: In der Sanierungsgebieten der Stadt vermitteln AnwaltsplanerInnen zwischen den Planungsbehörden und den Interessen der Bevölkerung und sitzen dabei oft zwischen allen Stühlen. Mit der Einrichtung der Anwaltsplanung zur Expo haben sich die hannoverschen Grünen gegen ihren Koalitionspartner SPD durchgesetzt. Die Arbeit der PlanerInnen ist vorerst auf sechs Monate befristet.

taz: Wollen Sie für oder gegen die Expo arbeiten?

Klaus Selle:Weder für das eine noch für das andere. Wir finden, daß die Zuspitzung der Diskussion auf diese Gretchenfrage sehr schädlich ist. Schädlich für die politische Kultur der Stadt, aber auch für die Lösung der Stadtentwicklungsprobleme.

Wir wollen das Ganze einfach umkehren. Wir wollen fragen: Was braucht Hannover? Kann die Expo da irgendeinen positiven Beitrag leisten oder schaffen wir uns dadurch nur neue Probleme?

Wieso ist die Zuspitzung auf die Expo schädlich?

Die Expo-Idee ist zu einer Zet entstanden, als man meinte, daß hier gar nichts mehr läuft, daß die Region verarmt und zusammenschrumpft. Deshalb wolte man irgendeinen Wachstumsimpuls schaffen. Inzwischen hat sich das wesentlich geändert. Hannover boomt — zumindest für seine bescheidenen Maßstäbe. Was aber völlg fehlt, sind vernünftige Entwicklungskonzepte, angefangen beim Wohnungsbau bis hin zur Arbeitslosigkeit. Es gibt ganz viele Fragen, denen sich niemand zuwendet, weil alle nur über die Weltausstellung reden.

Sowohl die BefürworterInnen als auch die KritikerInnen werden immer versuchen, Sie auf eine Position zur Expo festzunageln.

Diese Metaphysik wolen wir nicht mitmachen. Wenn man sich mal ansieht, was in den Zeitungen an echten Informationen über die Expo zu lesen ist, stellt man fest, daß es sich fast nur um Weihrauch und Beschwörungsformeln handelt. Da kann man nur rauskommen, wenn man fragt: Gibt die Expo eine Antwort auf die wirklichen Probleme in der Stadt? das offizielle Expo-Konzept klingt ja erstmal wunderbar...

„Spannend wird es, wenn man sieht, was im offizielle Expo-Konzept alles nicht drinsteht“

Ist es denn wunderbar?

Es klingt wunderbar. Spannend wird es, wenn man sich ansieht, was alles nicht drinsteht. Zum Beispiel gibt es in Hannover ein Arbeitsmarkt-Problem. Betriebe und Büros, die sich neu ansiedeln, bieten für die hiesigen Arbeitslosen keine Beschäftigung. Im Expo-Konzept gibt es nirgendwo einen Bezug zu diesem Struktur-Problem.

Man fragt sich, was die Weltausstellung überhaupt an Impulsen bringt, außer den Arbeitsmarkt zu überhitzen und die Lebenshaltungskosten zu steigern. gehen wir weiter: die Verkehrspolitik. Was findet man im Expo-Konzept? Bestenfalls Antworten für die Verkehrsprobleme der Messe-AG.

Ähnliches sagen auch die Expo-kritischen Gruppen. Wollen Sie die unterstützen?

Selbstverständlich. Gemäß unseres Vertrages wollen und sollen wir in den nächsten sechs Monaten mit den kritischen Gruppen kooperieren. Wir wollen ihnen helfen, die 110.000 Mark von der Stadt für die Bürgerbefragung zu nutzen.

Sollen Sie laut Vertrag auch mit der Stadt kooperieren?

Wir haben keine Aufgabe, die uns in irgendeiner Weise an die Stadt bindet.

Würden Sie sich freuen, wenn bei der Befragung 50 Prozent oder mehr gegen die Expo stimmen?

Wenn das ein Anlaß wäre, viele Dinge, die in Hannover auf den Nägeln brennen, mit der gleichen Kraft anzugehen wie jetzt die Expo, wenn politische und soziale Phantasie freigesetzt würde, würde ich mich darüber sehr freuen. Aber es steht zu befürchten, daß sich dann eher Lethargie in der städtischen Öffentlichkeit breit macht. Dann wäre ich ratlos. Fragen: Hannes Koch