Mit oder ohne Expo arbeitslos

■ Gutachten verspricht 157.000 Arbeitsplätze / Kritiker von Banken bis zum DGB halten die Zahlen für unseriös

Wenn die EinwohnerInnen Hannovers im kommenden Juni über die Expo 2000 abstimmen, finden sie auf der Postkarte auch das Lieblingsargument der niedersächsischen Landesregierung. „So bestehen Erwartungen wie wirtschaflicher Aufschwung und mehr Arbeitsplätze“, heißt es da. GutachterInnen haben im Auftrag der Landesregierung errechnet, daß die Weltausstellung dem Großraum Hannover bis zu 157.000 neue Arbeitsplätze bescheren soll. Für Expo-KritikerInnen wie der „Bürgerinitiative Umweltschutz“ kommen solche Zahlen eher „aus dem Land der Märchen“. Und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund mag sich den hochfliegenden Erwartungen nicht vorbehaltlos anschließen.

Die niedersächsische Landeshauptstadt braucht dringend zusätzliche Arbeitsplätze — mehr als 31.000 Menschen sind dort ohne Arbeit. Die Stadt krankt vor allem am Niedergang der Metallindustrie und an der einseitigen Ausrichtung auf die Automobilproduktion. Erst kürzlich hat das VW-Werk wieder Entlassungen angekündigt. Und der hannoversche Arbeitgeberverand meldete unlängst, daß seit 1971 ein Drittel der wichtigsten Industriebetriebe dicht gemacht haben oder von außen aufgekauft wurden. Auch die großen Messen bringen nur kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten, aber kaum Dauerarbeitsplätze.

Da kommt die große Expo- Hoffung gerade recht. Um die Zunahme der Arbeitsplätze wissenschaftlich zu begründen, gaben die rot-grüne Landesregierung und die hannoversche Stadtverwaltung mehrere Gutachten in Auftrag. In einer ersten Untersuchung vom Mai 1990 nannte Professor Ludwig Schätzle, Wirtschaftsgeograph an der Universität Hannover, noch relativ niedrige Zahlen. Weniger als 10.000 neue Jobs würden bis 1999 durch die Expo entstehen. Nach einem weiteren Gutachten konnte die Landesregierung schon ganz andere Zahlen präsentieren: 71.000 zusätzliche Arbeitsplätze ermittelte das hannoversche „Eduard Pestel Institut“ für den Zeitraum bis 1999. Und für das Jahr 2000 errechneten die GutachterInnen gar 157.000 neue Jobs.

„Zahlen ohne Grundlage“

Die Norddeutsche Landesbank dagegen war vorsichtiger. Ebenfalls im Auftrag Gerhard Schröders untersuchten die Banker die wirtschaftlichen Effekte der Expo, wollten sich aber zu den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht äußern. Begründung: „Die Ableitung quantifizierbarer Größen würde eine Genauigkeit der Untersuchungsergebnisse vortäuschen, die jeder methodischen und statistischen Grundlage entbehrt.“ Andere Fachleute, die nicht genannt werden wollen, äußern sich noch deutlicher: Die Datenbasis der Regierungs-Gutachten sei „einfach beschissen.“

Auch Thomas Müller, Wirtschaftsreferent beim DGB in Hannover, will an die Zahlen der Pestel-Studie nicht glauben: „Die erscheinen mir ein bißchen hoch.“ Und eigene Zahlen hat der DGB nicht, weil es bei der Berechnung „dermaßen große Unsicherheiten“ gibt, so Müller. Hannovers Arbeitgeberverband kann die erwartete Zunahme der Arbeitsplätze ebensowenig beziffern.

Der Expo-Boom wird neue Jobs nach Hannover bringen — das erkennen auch viele KritikerInnen der Mammutveranstaltung an. Die Bauindustrie muß neue Straßen, Bahnlinien und das komplette Ausstellungsgelände errichten. Die Tourismusbranche muß die Anreise von 50 Millionen BesucherInnen organisieren, sie beherbergen und verköstigen. Und der Dienstleistungssektor wird florieren. Doch GegnerInnen der Expo befürchten, daß nicht Hannovers Arbeitslose die neuen Stellen besetzen werden, sondern Beschäftigte von außerhalb.

Die Bauwirtschaft hat heute schon Schwierigkeiten, Arbeitskräfte im Raum Hannover zu finden. Die Baufirmen müßten deshalb einen Großteil der zusätzlichen Arbeitskräfte außerhalb der niedersächsischen Landeshauptstadt anwerben. Ähnlich könnte es in der Tourismusbranche aussehen. Siegfried Wache, Geschäftsführer des hannoverschen Hotel- und Gaststättenverbandes: „Die Arbeitskräfte werden zu einem erheblichen Teil nicht aus Hannover kommen, weil sie hier gar nicht vorhanden sind.“

Trotzdem tritt der DGB weiter für die Weltausstellungs-Pläne ein. Thomas Müller hofft, daß es mit der Expo zu einer Imageverbesserung und Aufwertung des Industriestandortes Hannover kommt. In der Folge würden sich neue Industieunternehmen ansiedeln und die Landeshauptstadt könnte zu einem Zentrum der Umwelttechnik werden. Die Gewerkschaften wissen aber auch, daß die „Expo alleine die Probleme im industriellen Bereich im Großraum Hannover nicht lösen kann.“ Hannes Koch