Wir sind doch keine Idioten...

■ 1. Berliner Medienfestival für Kinder und Jugendliche

Erwachsene verstehen nicht, was Jugendliche sagen«, steht auf der Leinwand wie im Stummfilm. Schnitt. Ein Gesicht, das zweimal zum Sprechen ansetzt, Schnitt. Jemand mit einer riesigen Zahnspange im Mund macht auf. Schnitt. Noch jemand, der zögernd herumstottert. Dazu fetzige Musik. »Sind Erwachsene keine Idioten?« Die Kamera antwortet mit Shots von dicken, feisten Biertrinkern, Heino, Facelifting, Schießübungen. Und im Nachspann: »Ich bedanke mich bei meinen Freunden. Ohne ihre Hilfe wäre dieser Film wahrscheinlich besser geworden.« »Meine Damen und Herren«, sagt der 14jährige Alejandro Cardenas verschmitzt-ironisch in die Kamera, »ich weiß, sie wollen etwas über Gewalt von Jugendlichen sehen, ich weiß, Sie werden enttäuscht sein. Wir sind stinknormale Jugendliche.« Dann ein Baseballschläger, ein Schlag, und Alejandro beugt sich über etwas. »Bist du okay, Mama?« Sie ist okay.

Jochen Lamprecht, der dieses Festival für Kinder und Jugendliche mit anschließender Preisverleihung moderiert, bittet Mutter und Sohn auf die Bühne, lebender Beweis für die Friedfertigkeit der Jugendlichen heute. Alejandro nimmt den silbernen Clip, den zweiten Preis aus der Gruppe der 13- bis 17jährigen, entgegen für seinen Film Wir sind doch keine Idioten. Der erste Preis, der goldene Clip, ging an eine Gruppe von neun Jugendlichen, die einen richtig professionellen Dokumentarfilm zur Kontroverse um das Lenindenkmal im Herbst 91 gedreht haben. Der dritte Preis dieser Altersstufe, der bronzene Clip, schließlich ging an den Beitrag Hip-Hop, produziert in der Medienwerkstatt »eyeland«. Zwei Jugendgangs, die aufeinandertreffen, um sich zu prügeln, fangen statt dessen zu tanzen an.

Aus dem Bereich der Kinderbeiträge (6- bis 12jährige) hat die Jury einen Film der Klasse 3c der Paul- Klee-Grundschule mit dem goldenen Clip prämiert: Sketche und Zirkusnummern. Der zweite Preis ging an eine Ton-Dia-Show über Spukgeschichten. Die Bilder dazu haben die Kinder selbst gemalt, teils direkt auf die Dias, und das Ganze mit entsprechender Musik und mit Geräuschen unterlegt. Leider nur einen bronzenen Clip bekam ein Film von einer Gruppe türkischer Jugendlicher. In ihrem 10-Minuten-Film Fernreisen springen die Kinder in die Glotze und erleben hautnah, was da so alles drin ist. Viele witzige Filmgags hat dieser Beitrag, aber die Jury konnte sich nur zu einem dritten Preis durchringen, weil die cineastischen Späße gar nicht von den Kindern selbst sein können, sondern eher das Verdienst der Betreuerin sind. Cuini Amelio- Cortez, eine Dokumentarfilmerin, die im Jugend- und Kulturzentrum Schlesische Straße 27 arbeitet, hat die Kinder filmtechnisch beraten, und das nicht schlecht!

Keinen ersten Preis gab es für die 18- bis 25jährigen. Es bleibt ganz unverständlich, warum die Jury sich hier nicht entscheiden konnte. Home town blues, ein 4-Minuten-Musikvideo, entstanden aus einem Workshop, den das Clip-Medienzentrum ausgeschrieben hatte, ist ein wirklich gut gemachter kleiner Kurzfilm zum Thema Liebe und Sehnsucht. Er bekam den zweiten Preis. Die Musik ist von der Band Troubadix. Gleich zweimal Bronze gingen an: »Erfahrung Rot-Gelb«, eine Art Werbefilm für die S-Bahn, technisch fast perfekt, und Live im Live, ein Dokumentarfilm über eine Grufti-Disko aus Friedrichshain. Ein Film für Menschen von Maximilian Vogel erhielt einen Publikumspreis. Es ist eine sehr eigenwillige Produktion mit zum Teil ganz außergewöhnlichen Filmbildern und ganz herausragenden Texten, was man hierzulande in Filmen so gut wie gar nicht erlebt. Außerdem hat Barbara Kuon ein hinreißendes Gesicht.

Insgesamt vierundfünfzig Beiträge sind eingereicht worden, viele davon hervorgegangen aus den täglich

en Arbeiten in den Medieneinrichtungen für Kinder und Jugendliche in der Stadt. In einer Welt, die von der visuellen Information völlig beherrscht wird, sind Einrichtungen, die den kritischen Umgang mit vor allem visuellen Medien lehren, unerläßlch für die kulturelle Entfaltung. Institute wie das Jugendfilmstudio in der Naunynstraße, das Clip oder die Traumfabrik haben das schon sehr früh erkannt und Pionierarbeit geleistet. Sie stellen ihr Know-how, ihre Technik zur Verfügung, um Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit mit den Medien vertraut zu machen.

Susanne Kornblum, seit 1988 Leiterin der Traumfabrik, weiß, daß sich vor allem jene Kinder, die Mühe haben, sich sprachlich auszudrücken, gerne der visuellen Medien bedienen.

Renommierte Filmregisseure machen immer wieder darauf aufmerksam, daß diese Gesellschaft auf den Umgang mit den Medien nicht vorbereitet ist. Kinder in der Schule lernen die Schriftsprache, aber sind Analphabeten, was die visuelle Kommunikation angeht.

Selbst die CDU hat das inzwischen erkannt. Im familien- und bildungspolitischen Teil des neuen Programms ist von der Absicht die Rede, in Zukunft ein eigenes Medienfach schon an den Grundschulen einzurichten. Bis aber eine ganze Generation von Lehrern dafür ausgerüstet ist, vergeht noch viel Zeit, und da könnte man ja schon mal in der Zwischenzeit — wenn man es denn ernst meint — für eine bessere Versorgung der Institutionen sorgen, die schon existieren, die jahrelang engagiert gearbeitet haben, aber finanziell noch immer am Krückstock gehen. Marie Wildermann

Die prämierten Filme sind ab heute noch einmal im Offenen Kanal zu sehen.